Im Gespräch mit dem Herausgeber und Übersetzer Andreas
Nohl
„Abends, wenn die Zweckverordnung des Lebens ein Ende hat,
der Geist endlich frei wird und sich öffnet für das Unheimliche und Dunkle, ist
Lesezeit, ist Zeit für Nocturnes.“, heißt es im Ankündigungstext der neuen bibliophilen
Reihe im Herbstprogramm vom Steidl-Verlag. Wir wollten mehr wissen!
Marcus Dahmke: Lieber Herr Nohl, wie kamen Sie auf die Idee zu
dieser Reihe? War es ein Abend mit Rotwein und einem zu übersetzenden Text, im
Hintergrund die melancholischen Moll-Akkorde von Chopin...?
Andreas Nohl: Sie haben
nicht ganz Unrecht, es war wirklich ein später Abend, aber ich glaube, es war
kein Rotwein. Ich hörte eine Chopin-Einspielung von Harasiewicz, die ich quasi
seit Schülertagen besitze, und da blitzte die Idee für eine solche Edition in
mir auf. Ich fing an zu recherchieren und fand viele andere enorm faszinierende
Berührungspunkte, so etwa die „Nocturnes“ von James
Abbott McNeill "Whistler". Und auch die Musik von John Field hat ja bereits etwas sehr Anrührendes.
Dahmke: Inzwischen sind die ersten drei Bände erschienen:
„Der Fall Moosbrugger“ von Robert Musil (ein Auszug aus „Mann ohne
Eigenschaften“), die Novellensammlungen „Tamango“ von Prosper Mérimée, sowie
Richard Middletons „Das Geisterschiff“. Ein historischer Kriminalfall,
Seegeschichten und Spuk- und Geistergeschichten. Geschichten, die vom
Nachtseitigen und Abgründigen erzählen: im Menschen und in der UnNatur des
Dies- und Jenseits. Mögen Sie ein paar Worte zur Auswahl sagen?
Nohl: Ich wollte in
jedem Fall eine bestechende Auswahl vorlegen, und zwar sowohl inhaltlich wie vom
literarischen Zugriff her. Damit meine ich das „Faszinationspotenzial“ der
Texte. Jedes Buch sollte in seinem literarischen Kosmos selbstevident sein. Das
heißt, im Grunde habe ich mich für eine Auswahl entschieden, die mich als Leser
selbst interessieren würde. Natürlich kommt es dann auch immer auf die
Zusammenstellung der Autoren bzw. Autorinnen an und darauf, ob man
möglicherweise noch jemanden überraschen kann. Ich denke, das ist bei den drei
Büchern nicht so schlecht gelungen.
Dahmke: Ich muss gestehen, dass mich vor allem die Texte
von Richard Middleton, den ich bisher noch nicht kannte, in den Bann gezogen
haben; ein Geisterschiff, das nach einer stürmischen Nacht im Rübenacker des
Gastwirts landet und das Gespensterleben eines englischen Dörfchens
durcheinanderbringt, Geschichten von Außenseitern, die sich in ihre
vermeintliche Einsamkeit zurückziehen. Melancholisch-tiefsinnige Novellen...
Nohl: Ja, Richard
Middleton liegt mir sehr am Herzen. Ich kenne ihn seit meiner Jugend und bin
wirklich froh, ihn in Deutschland vorstellen zu können. Er ist so feinsinnig,
dass man ihn leicht übersehen kann – er ist eine Art englischer Robert Walser,
nur mit einem sehr viel kleineren Oeuvre. Und da er Engländer ist, ist er
natürlich auch düsterer und nebliger und unschweizerischer. Aber eben auch
nicht ohne Witz. Die Geschichte mit dem Sargverkäufer zum Beispiel, wie nah ist
die an Sherlock Holmes und Dr. Jekyll & Mr. Hyde gebaut, und man ist sofort
in London. Einfach großartig.
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Andreas Nohl (Copyright: Mercan Fröhlich) |
Dahmke: Viele andere Namen kommen einem in den Sinn:
E.T.A. Hoffmann und andere Vertreter aus der Spätromantik, Edgar A. Poe, Joseph
Conrad, Stevenson, Arthur Conan Doyle, Maupassant (der ja auch
Vampirgeschichten geschrieben hat) und und und.
Für die Nocturnes sind Sie Herausgeber und Übersetzer.
Alexander Pechmann, mit dem ich Anfang des Jahres ebenfalls über diese beiden
Verantwortungsebenen gesprochen habe, meinte (und ich möchte ihn hiermit
zitieren), dass es besonders wichtig sei, das deutsche Lesepublikum an „die
ungeheure Vielfalt der Literatur zu erinnern, vergessene Autoren wieder ans
Licht zu bringen und vergessene Texte berühmter Autoren auszugraben.“
Darf man schon verraten, was uns in Zukunft noch erwarten
wird?
Nohl: Der Plan für
die nächsten drei Bände steht bereits, es wird eine verblüffende deutsche
Ersterscheinung aus dem englischen Bereich geben, etwas Fernöstliches und
wiederum etwas Deutsches. Alles Weitere unterliegt leider dem Datenschutz.
Dahmke: Dann kann das Rätselraten ja beginnen. Zuletzt
müssen wir natürlich noch über die wunderschöne Ausstattung sprechen:
Leineneinband, Fadenheftung, Lesebändchen, jeder Band mit einem Nachwort
versehen. Alleine durch das bibliophile, reduzierte Äußere heben sich die Bücher
von vielen anderen ab! Wie kam es zu dieser Gestalt bzw. Gestaltung?
Nohl: Das
ist das Geheimnis der enorm begabten Buchdesignerin Paloma Tarrío Alves, die für den Steidl Verlag arbeitet. Ich
war auch sehr beeindruckt, als ich die Cover sah. Im Übrigen war von Anfang an
klar, dass der Anspruch einer solchen Reihe auch im Äußeren sichtbar sein muss.
Und dass Steidl weiß, wie man schöne Bücher macht, ist ja kein Geheimnis.
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--> Richard Barham Middleton: Das Geisterschiff
--> Robert Musil: Der Fall Moosbrugger
--> Prosper Mérimée: Tamango