Dienstag, 18. August 2020

Entlarvung, Enthüllung, Demaskierung - Felix Hartlaub

Warum lohnt sich die Beschäftigung mit Felix Hartlaub (1913-1945)? Biograph Matthias Weichelt antwortet:

Die Veröffentlichung von Aufzeichnungen des 1945 verschollenen Schriftstellers Felix Hartlaub war in den fünfziger Jahren eine Sensation: Geheime Skizzen aus dem besetzten Paris und aus den Führerhauptquartieren „Werwolf“ und „Wolfsschanze“, Innenansichten aus den Zentren der Macht. Eine solche literarische Stimme, sarkastisch, ironisch, direkt, hatte man noch nicht gehört. Hätte Hartlaub sein Manuskript über das Attentat vom 20. Juli, das er als Ohrenzeuge miterlebte, vollendet, wäre daraus, so Tilman Krause kürzlich in der „Welt“, wohl der „interessanteste deutsche Roman über das Dritte Reich überhaupt“ geworden und hätte dem Schreiben über diese Zeit „hierzulande eine andere Richtung“ gegeben, jenseits von Gruppe 47 und Innerer Emigration.

Daß ein Autor mit dieser Beobachtungsfähigkeit und Beschreibungsgabe in eine solche Position gelangt, ist ein historischer Glücksfall. Die Texte, die der promovierte Historiker, Mitglied einer Archivkommission des Auswärtigen Amtes und Mitarbeiter des Kriegstagebuchs des Oberkommandos der Wehrmacht, heimlich verfaßte, waren als Material für später gedacht, als Zeugnisse für den Weg in die Katastrophe: „Die Frage nach der Genese, nach dem ‚Wie war es möglich‘, wird wohl die einzige sein, die noch an uns gerichtet, zu der vielleicht noch etwas zu sagen sein wird.“


Die anhaltende Faszination dieses von Ambivalenzen und Widersprüchen geprägten Lebens und dieses bruchstückhaft gebliebenen Werks beruht nicht zuletzt darauf, daß Hartlaub die Fragwürdigkeit der eigenen Person, des eigenen Verhaltens ins Zentrum der Texte stellt. Das Ziel seiner Literatur ist Entlarvung, Enthüllung, Demaskierung. Darum richten sich die Waffen des Textes auch gegen den Autor selbst. Dieser hat wie kaum ein anderer Schriftsteller mit sprachlicher Genauigkeit und analytischer Schärfe über sich und seine familiären, gesellschaftlichen und politischen Verstrickungen geschrieben. Wie sein großes Vorbild Kafka verstand Hartlaub die Literatur als Möglichkeit, Gericht über sich zu halten. „Einen so unbestechlichen Blick wie den seinen hat es in der Literatur nach 1945 nicht mehr gegeben.“ (Hans Magnus Enzensberger)


Dr. Matthias Weichelt, Chefredakteur der Zeitschrift SINN & FORM, veröffentlichte kürzlich: Der verschwundene Zeuge. Das kurze Leben des Felix Hartlaub. 232 Seiten. Suhrkamp, 2020. 20 Euro.

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