Samstag, 3. April 2021

Über Genrefragen, Erinnerung und die Edelbauer'sche Übertreibung. Im Gespräch mit Raphaela Edelbauer

In einer riesigen Forschungsanlage wird die Superintelligenz „Dave“ entwickelt. Der Programmierer Syz ist einer von vielen, die sich Tag für Tag abrackern, um ihren Teil zum Gelingen dieses großangelegten Projekts beizusteuern. Ob es gelingen kann, eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Davon und von vielem mehr erzählt Raphaela Edelbauer in ihrem neuen Roman Dave, erschienen bei Klett-Cotta. Marcus Dahmke hat mit Ihr gesprochen.


Dahmke: Liebe Frau Edelbauer, was meinen Sie? Ist Künstliche Intelligenz ein Thema der Zukunft oder doch der Gegenwart?

Edelbauer: Ich denke, dass man in der Gegenwart bereits mehr oder weniger gut Tendenzen ablesen kann, die in der Zukunft geschehen werden. Wenn man gesellschaftspolitisch zu schreiben gewillt ist, sollte man auf der einen Seite zur Lebenswirklichkeit Bezug nehmen, auf der anderen Seite sollte man etwas skizzieren, das ein gewisses Potenzial hat in einigen Jahrzehnten noch relevant zu sein. Zumindest verstehe ich es so für die Texte, die ich mache.

Dahmke: Warum ist die Entwicklung von Dave so wichtig für die Menschheit? Und warum steht Syz, die Hauptperson Ihres Romans, dem Ganzen eher skeptisch gegenüber?

Edelbauer: Nunja, zunächst steht Syz dem Ganzen überhaupt nicht skeptisch gegenüber. Er ist ein typisches Kind seines Labors. Er glaubt an Dave und die verheißenen Verbesserungen. Ich benutze bewusst nicht den Begriff Propaganda, weil ich finde, für Propaganda fehlt dem Ganzen die Lügenkomponente, die bewusste Manipulation klassischer Dystopien wie Orwells 1984, die Leute glauben einfach daran, dass Dave viele Probleme der Menschheit lösen wird, wobei man sich noch wenig darüber im Klaren ist, worin diese Probleme überhaupt bestehen.

Syz beginnt dem Ganzen skeptisch gegenüberzustehen zunächst einmal aus einem persönlichen Grund. Nachdem es im Vorfelde immer wieder zu Abstürzen und zu teilweise sehr existenziellen Krisen in diesem Labor gekommen ist, wird nun Syz ausgewählt; als die Person, der Dave nachgebildet werden soll. Die sogenannte Personenhypothese besagt, dass es entscheidend sei, dass es ein reales Vorbild für solch eine Superintelligenz gibt. Auch wenn die KI über das menschliche Bewusstsein hinaussteigt, muss sie vom menschlichen ausgehen. Das ist der Grundgedanke. Syz beginnt sich in diesem Gedanken zu verlieren, kann man sagen. Dieses Unwohlsein könnte die Initialzündung für die Art Skepsis sein, die später erst theoretisch unterfüttert wird mit dem Gedankenmaterial seines Vorgängers.

Dahmke: Es gibt mehrere Gruppierungen innerhalb der Anlage, die Dave für ihre Zwecke nutzen wollen. Welche sind das und warum sind diese so abhängig von der Erschaffung eines künstlichen Bewusstseins?

Edelbauer: Die zwei Gruppierungen, die ich als Hauptparteien nenne, sind die Neoterraner und die Transhumanisten. Die eine Gruppe glaubt, man müsse von der Erde weg und andere Galaxien besiedeln – es ginge darum, die Intelligenz und das beseelte Leben von Planet zu Planet zu bringen – und die andere Gruppe meint, dass der Körper überwunden werden muss und dass man sich der Unsterblichkeit nähernd ein künstliches Bewusstsein hochladen solle. Warum diese so abhängig von der Erschaffung eines künstlichen Bewusstsein sind ... Sie sind eigentlich eher davon abhängig, dass im Labor sehr unreflektierte Heilsversprechen dominieren, könnte man sagen. Sie instrumentalisieren Heilsversprechen, die die Ängste der Menschen oder auch ein wenig die Orientierungslosigkeit der Menschen ausnutzen. Diese Form der Fortschrittsgläubigkeit, wie ich sie in Dave skizziere, hat viel damit zu tun, dass Religion weggefallen ist und kein entscheidender Formfaktor des modernen Lebens mehr ist und irgendwie ersetzt werden muss. Man kann das Transzendente nicht ausklammern aus der menschlichen Erfahrung.

Dahmke: Das Thema KI ist seit jeher mit einer Reihe von moralphilosophischen Fragen verbunden. Namhafte Science-Fiction Autoren haben sich mit diesen Fragen abgequält. Provokativ gesagt: Ist ihr Roman ein Science-Fiction Roman? Wenn nein, warum nicht?

Edelbauer: Das ist eine schwierige Frage, weil ich denke, dass Science-Fiction-Romane nicht prinzipiell von ihren Grundannahmen anders sind als normale Romane. Ich meine, was sind überhaupt „normale“ Romane?! Ist ein Roman ein Unterhaltungsroman, wenn er unterhaltend ist oder ist ein Roman ein Frauenroman, wenn er von Frauen gelesen wird?

Ich glaube, diese Genrebezeichnungen sind künstliche Strukturen, die wir uns errichten.

Was ich gerne anführe, ist, dass ich keine Technologien verwendet habe, die nicht heute schon denkbar sind. Das ist für mich ein relevanter Faktor. Gerade deswegen, weil ich den Roman zeitlich nicht genau platziere. (lacht) Ich komme mir schon selber ganz hängen geblieben vor, weil ich es immer wiederhole, aber es ist tatsächlich sehr schwierig über den Roman zu reden ohne die entscheidendsten Entwicklungen vorweg zu nehmen. Aber wenn man ihn so liest, wie ich ihn intendiert habe – was natürlich kein Zwang ist! – ist es möglich, dass der Roman nicht in der Zukunft spielt, ist es möglich, dass er jetzt spielt. Das habe ich über einen ganz massiven Plotttwist gelöst, der hier nicht verraten werden soll.

Dahmke: Erinnerung in Form einer erzählten, rekonstruierten Vergangenheit, spielt eine wichtige Rolle. Lieber in die Vergangenheit gucken, als über die Zukunft sinnieren?

Edelbauer: Auch eine sehr schwierige Frage, die man eigentlich nicht beantworten kann, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten... Erinnerung spielt eine größere Rolle als Vergangenheit. Erinnerung kann sein, wie wir uns in der Gegenwart unsere Identität chronologisch zurechtlegen. Zum Beispiel: es muss überhaupt nicht sein, dass, wie ich mich heutzutage an meine Kindheit erinnere, tatsächlich der Vergangenheit entspricht. Das ist ein sehr wichtiges Thema in diesem und in meinem ersten Roman Das flüssige Land, in dem es vorrangig ja auch um Vergangenheit und Geschichte geht. Der Mensch konstruiert immer die Vergangenheit. Und tja (lacht) Zukunft spielt eben auch keine so große Rolle! Ich denke, dass diese zwei Oppositionen nicht so entscheidend sind.

Dahmke: Sie haben Sprachkunst studiert und nehmen den Leser in ihren Texten gerne mal „auf den Arm“. Was ist die Edelbauer‘sche Übertreibung? Und warum sollte diese neben dem Begriff kafkaesk demnächst im Duden stehen?

Edelbauer (lacht): Auf der einen Seite aufgrund meines Egozentrismus. Nein, Spaß beiseite, ich bin nicht sonderlich narzisstisch veranlagt. Beispielsweise finde ich meine Bücher selber sehr imperfekt. Es gibt tausend Dinge, die ich schon kurz nach dem Druck wieder ändern würde. Nichtsdestotrotz glaube ich, ist eines der Dinge, die ich am besten beherrsche, eben diese Form der Übertreibung ist. Ich bevorzuge immer, wenn es eine Auswahl gibt zwischen verschiedenen Formulierungen, die extremste; diejenige, die die Realität bis an ihre Grenzen des gerade noch glaublichen ausreizt. Und das finde ich wahnsinnig lustig, aus sprachästhetischen und humoristischen Gründen. Außerdem weil die Welt absolut unfassbar ist. Schon, wenn wir sagen, wir nehmen nur die Fakten an und übertreiben gar nichts, ist das schon dermaßen übertrieben, ausgehend von dem Zustand, den man eigentlich erwarten würde. Ich glaube und hoffe, dass diese Form der Übertreibung eine tiefe Wahrheit enthält.

Dahmke: Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Edelbauer!


Hinweis: Die Antworten wurden vom Interviewer transkribiert und ggf. mit der Genehmigung der Autorin leicht für den Blog angepasst.  


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