Freitag, 7. November 2014

Gedanken zur digitalen Zukunft: Stellen Sie sich vor, ...



... Sie finden die Dame oder den Herrn ihres Herzens über eine Partnervermittlung im Internet. Sie lernen sich kennen und lieben und heiraten schließlich. Die Partnervermittlung frohlockt und profitiert von ihren Daten, indem auch weitere Paare aufgrund ähnlicher Übereinstimmungen zusammengeführt werden. Die Partnervermittlung arbeitet also mit ihren Daten und verdient Geld damit denn schließlich ist die Nutzung solcher Portale nicht kostenlos. Fänden Sie es nicht fair, eine gewisse, wenn auch minimale Vergütung dafür zu erhalten, dass ihre Daten zum Gewinn und Erfolg der Partnerbörse beitragen? Im Sinne von Jaron Lanier wäre dies ein Beispiel für humanistische Informationsökonomie. Wäre unsere digitale Welt würdevoll, so Lanier, wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen.

Die Realität aber sieht anders aus, wie der Autor in seinem jüngsten Werk Wem gehört die Zukunft? (Hoffmann & Campe) eindrücklich vor Augen führt. Ohne Skrupel geben Internetnutzer und damit ein jeder von uns Daten persönlichster Natur an Plattformen wie Google und Facebook weiter, um deren Dienste kostenlos zu nutzen. Während einige große Konzerne dadurch immer reicher werden, gehen im Zuge der Digitalisierung und Prozessautomatisierung mehr und mehr Arbeitsplätze verloren, warnt Lanier. Beispiel 3D-Drucker: Womöglich werden irgendwann in der Zukunft Smartphones oder Tablet-Computer ebenso wie beispielsweise Kleidung einfach ausgedruckt. Menschliche Arbeitskraft? Nahezu überflüssig. Freilich, das ist noch Zukunftsmusik. Nicht umsonst bezeichnet Lanier sein Buch als Science Fiction in Form eines Sachbuchs. Aber: So, wie die Menschheit bisher ihre Welt rund um digitale Netzwerke organisiert hat, kann von keine Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit keine Rede sein, bekräftigt der Autor. Eben dafür Bewusstsein zu schaffen, ist das Ziel seiner Streitschrift.

Spannend für alle Buchliebhaber sind Lanier Ausführungen zur Zukunft des Buches, die allerdings, wie er betont, Skizzierungen auf Basis der bisherigen Entwicklung darstellen. Die Digitalisierung macht es (schon jetzt) möglich, dass ein jeder auf einfachstem Wege und schnell ein Buch veröffentlichen kann. Zugleich wird sich die Art und Weise des Schreibens und Rezipierens ändern. Ein und dasselbe Buch wird nicht für jeden Leser oder bei jedem Lesevorgang unbedingt dasselbe bleiben, so Lanier. Das ist plausibel, bedenkt man, dass bereits heute aus Blog-Episoden Bücher werden oder umgekehrt die Handlung eines Buches im Web fortgeschrieben wird. Eine Entwertung des Buches muss dies nicht zwangsläufig bedeuten. Die Generation der Digital Natives wird in Zukunft immer stärker crossmedial angelegte Geschichten wertschätzen und den Verlagen abfordern. Doch warnt Lanier zugleich: Ein Buch ist kein bloßes Objekt, sondern vollgültiger Ausdruck eines Individuums im Fluss der Menschheitsgeschichte. Und eben dies gelte es zu bewahren. Wohl wahr.

Laniers Ausführungen zu den digital geprägten Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen lesen sich hochspannend und rütteln auf. Es wäre wünschenswert, wenn seine eigene Hoffnung zuträfe, zumindest Verständnis für die Gefahren zu schaffen, die von einer Machtkonzentration auf wenige mächtige Konzerne und deren Sirenenserver ausgehen. All jenen, die sich damit nicht befassen mögen oder bereits resigniert haben, empfiehlt der Autor mit einem Augenzwinkern, beim Lesen eine Sonnenbrille aufzusetzen. Unsere Empfehlung an Sie, liebe Leser und Kunden von Felix Jud: Setzen Sie die Lesebrille auf (falls überhaupt nötig!) und widmen Sie sich Laniers scharfsinnigen Thesen.

Jaron Lanier, US-amerikanischer Informatiker, Musiker und Schriftsteller, ist am 12. Oktober dieses Jahres mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Mit der Forderung, dem schöpferischen Beitrag des Einzelnen im Internet einen nachhaltigen und ökonomischen Wert zu sichern, setzt Jaron Lanier sich für das Bewahren der humanen Werte ein, die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens, auch in der digitalen Welt, sind.“