Marcus Dahmke im Gespräch mit dem dvb-Verleger Albert C. Eibl
© Albert C. Eibl |
Dahmke: Lieber Herr Eibl, der Juli vor genau 7 Jahren, also 2014, war ein besonderer Monat für Sie. Es war die Geburtsstunde Ihres eigenen Verlages. Obwohl... wann und unter welchen Umständen entstand eigentlich die Idee für den dvb-Verlag?
Eibl: Das war während eines vertrunkenen Abends mit Freunden in Wien. Die leidige Frage, was man mit Germanistik eigentlich später einmal im Leben anfangen sollte, wurde wieder einmal in die Runde gereicht. Da kam mir, gleich einer Epiphanie, der Name „Das vergessene Buch“ in den Sinn. Die Idee ließ mich in den Wochen darauf nicht mehr los. Und so gründete ich Ende 2014 meinen Verlag, freilich noch ohne einen blassen Schimmer zu haben, wie man sowas eigentlich macht.
Dahmke: Sie sind in München geboren, haben in Italien das Europäische Abitur abgeschlossen, in der Schweiz Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften studiert und den Master in Deutscher Philologie in Österreich gemacht. Mit ihrem Verlag sind sie in Wien, also in Österreich geblieben. Was haben Sie aus dieser bewegten Zeit mitgenommen? Viele Ideen, Inspirationen, nehme ich an?!
Eibl: Vor allen Dingen ein Bewusstsein für die transkulturelle Wirkmacht der Literatur. Viele Nationalliteraturen bedingen und durchdringen sich, besonders in Europa. Schon in der Schulzeit habe ich unzählige Werke sowohl der deutschsprachigen als auch der italienischen Literatur verschlungen und immer wieder Parallelen und Überschneidungen festgestellt. Während meines Studiums in Zürich habe ich dann erst wirklich lesen gelernt. Texte gleich einer Muschel aufzubrechen, um Ihre Tiefenschichten zu ergründen, das erfordert eine sorgsame Anleitung. Die habe ich in Zürich von einigen hervorragenden Lehrern erfahren.
Dahmke: Neben der Verlagstätigkeit schreiben Sie als freier Rezensent für unterschiedliche Medien u.a. literaturkritik.de, profil und Der Falter. Während Ihres BA-Studiums haben Sie schon in unterschiedlichen Kultur- und Feuilletonredaktionen hospitiert (FAS und MZ). Hilft die Beschäftigung mit der Literatur neben dem Verlag die Augen offenzuhalten für aktuelle Entwicklungen auf dem Buchmarkt?
Eibl: Auf jeden Fall. Zusätzlich sollte man aber auch mit den Verantwortlichen sprechen: Mit Verlegern, Buchhändlern, Autoren und Buchkritikern. So bekommt man schnell mit, was gerade im Buchmarkt passiert und was die neuesten Trends sind. Am besten besucht man eine der großen Buchmessen, die ab Herbst nun hoffentlich wieder in alter Frische abgehalten werden. Drei Tage in Frankfurt und man weiß, dass das Buch noch lebt.
Dahmke: Marta Karlweis, Maria Lazar, Else Jerusalem, drei Autorinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Österreich und darüber hinaus sehr bekannt waren. Jetzt sind bzw. waren ihre Namen und viele ihrer Romane vergessen. Wie sind Sie auf die Autorinnen aufmerksam geworden?
Eibl: Auf Maria Lazar bin ich erstmals aufmerksam geworden in einer Vorlesung des Germanisten Prof. Johann Sonnleitner an der Universität Wien. Mit ihm als Herausgeber habe ich seitdem bei der Wiederentdeckung von Maria Lazar und Marta Karlweis eng zusammengearbeitet. Auf Else Jerusalem hat mich die Grazer Germanistin Prof. Brigitte Spreitzer aufmerksam gemacht. Mein Verlag hat mittlerweile ein so unverwechselbares Profil entwickelt, dass ich jeden Monat viele Tipps von vermeintlich „zu Unrecht vergessenen“ Werken bekomme. Aus jenen Tipps und eigenen Recherchearbeiten speist sich dann das Programm meiner kleinen literararchäologischen Ausgrabungsmaschine DVB.
Eine Auswahl aus dem Programm |
Dahmke: Einer ihrer Programmschwerpunkte ist Exilliteratur: Romane von geflüchteten und vertriebenen AutorInnen aus der Zeit des Dritten Reichs. Warum ist es so wichtig, ihre Texte auch für das heutige Lesepublikum wieder zugänglich zu machen? Und was für Schwierigkeiten sind mit dem Auffinden dieser Texte häufig verbunden?
Eibl: Literarische Werke der Vertriebenen und des Exils sind zumeist Zeugnisse unfassbar schwieriger und schmerzlicher Zeiten, in denen nicht nur der Mensch, sondern auch die Sprache der Schreibenden an die Grenzen des Sagbaren stößt. Jene harten Lebenswege von Autorinnen und Autoren nachzuvollziehen, die sich ein gänzlich neues Lebensumfeld erschaffen mussten – und gleichzeitig zu wissen, dass solche Zeiten jederzeit wiederkommen können – ist schockierend, aber historisch heilsam. Mein Verlag hat es sich auf die Fahnen geschrieben, zu Unrecht vergessene Werke wiederzuentdecken. Ich verlege also hauptsächlich und zuvorderst Werke, die nahezu vollständig aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht wurden – oder noch nie in jenes eingegangen sind. So vergessen diese Texte sind, so schwierig ist es auch, sie aufzustöbern. In den bereits publizierten Tagebüchern berühmter Schriftsteller wie Thomas Mann, Stefan Zweig oder Arthur Schnitzler stößt man ab und an auf den ein oder anderen zu Unrecht vergessenen Namen. Ansonsten bleibt kein anderer Weg als sich wirklich ins Dickicht der Archive zu schlagen.
Dahmke: Es entstehen nach und nach umfangreiche Neueditionen, z.B. gibt es bereits einige Bände vom Gesamtwerk von Maria Lazar und Marta Karlweis. Sind alle Bände geplant oder bleibt es bei einer Auswahl?
Eibl: Johann Sonnleitner und ich hegen schon lange die Idee einer kommentierten Gesamtausgabe der Werke von Maria Lazar und Marta Karlweis. Die Qualität und der Facettenreichtum der jeweiligen Ouevres würde eine solche Anstrengung auf jeden Fall rechtfertigen. Für ein solch verlegerisches Großunterfangen bräuchten wir allerdings eine solide Finanzierung. Sei es vom österreichischen Staat, der Universität Wien oder Institutionen wie der österreichischen Exilbibliothek.
Dahmke: Im Herbst 2021 geht es bereits weiter. Einige Neuentdeckungen erscheinen! Ich persönlich freue mich schon sehr auf „Rendezvous in Manhattan“ von Grete Hartwig-Menschinger (1899-1971), die ich bisher noch nicht kenne! Worum geht es?
Eibl: Das ist in der Tat eine echte Ausgrabung, die im New York der frühen 1940er Jahre während des Zweiten Weltkriegs spielt. Eine junge, attraktive Frau aus dem Arbeitermilieu bahnt sich ihren Weg in die Kreise der Upperclass. Eine packende Milieustudie und ein leidenschaftlicher Liebesroman, den die völlig unbekannte Schwester der bereits erfolgreich wiederentdeckten Schriftstellerin Mela Hartwig (1893-1967) in den 1940er Jahren im amerikanischen Exil geschrieben hat. Dieser Roman ist 1948 erstmals in einem kleinen Wiener Verlag erschienen und danach so gründlich vergessen worden wie seine Autorin.
Dahmke: Was kann man von Ihnen und dem dvb-Verlag in Zukunft noch erwarten? Wohin soll es gehen? Und was für Schätze können aus den Archiven noch gehoben werden? Beziehungsweise schlummern schon in Ihrer Schreibtischschublade...
Eibl: Mein Verlag Das vergessene Buch wird sich auch in Zukunft treu bleiben und weiterhin zu Unrecht vergessene Perlen der deutschsprachigen Literaturgeschichte dem Orkus der Vergessenheit entreißen. Ich will mich aber in den nächsten Jahren auch Werken anderer Sprachräume widmen, die zu Unrecht vergessen wurden und das Verlagsprogramm dementsprechend ausweiten. Mit Oliver Lubrich von der Universität Bern plane ich gerade neben dem „Geheimen Tagebuch“ John F. Kennedys von dessen Reise nach Nazideutschland aus dem Jahr 1937 eine deutsche Ausgabe von Marcel Jouhandeaus „Le Voyage secret“. Es bleibt also weiterhin spannend!
Dahmke: Vielen Dank, lieber Herr Eibl, für das Interview!
Die Bücher des dvb-Verlags finden Sie bei uns im Geschäft oder über unseren Webshop.
Eine Auswahl für Sie:
Maria Lazar: Leben verboten! - Produkt (buchkatalog.de)
Marta Karlweis: Der Zauberlehrling - Produkt (buchkatalog.de)
Marta Karlweis: Ein österreichischer Don Juan - Produkt (buchkatalog.de)
Else Jerusalem: Der heilige Skarabäus - Produkt (buchkatalog.de)
Vorbestellbar:
Grete Hartwig-Menschinger: Rendezvous in Manhattan