Mittwoch, 23. September 2020

Das Sittenbild einer verkommenden Gesellschaft

Am Ufer des Sacrower Sees nahe Berlin wird 1932 der Sportwagen des Dr. Erich Mühe entdeckt. Der Arzt ist über Nacht verschwunden und die Mordkommission deckt ein Leben mit Abgründen auf. Was passierte mit diesem angesehenen Arzt am Vorabend der Diktatur? Autor Oliver Hilmes stand Robert Eberhardt für ein kurzes Interview zur Verfügung:


Eberhardt: Sie sind bisher als Sachbuchautor in Erscheinung getreten. Wie kam es zu einem erzählenden Text und inwiefern sind dort historische Fakten mit Fiktion verbunden?

Hilmes: Ich bin von Hause aus Historiker und Geschichte zu rekonstruieren heißt auch Geschichten zu erzählen. Und deshalb ist mir das Erzählerische in meiner Arbeit schon immer sehr wichtig gewesen. Daher ist der Schritt von meinen bisherigen erzählenden Sachbüchern zu einer nun romanhaften Darstellung nicht weit gewesen. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit und ich habe viel recherchiert, manches freilich aus dramaturgischen Gründen erdacht.

Eberhardt: Wie sind Sie auf dieses Thema aufmerksam geworden? Sie haben zuletzt einen Beststeller zur Olympiade 1936 veröffentlicht, sich illustren Figuren des 19. Jahrhunderts wie Cosima Wagner oder Bayernkönig Ludwig II. gewidmet. Wann spielt die Geschichte des Dr. Mühe?

Hilmes: Die Geschichte beginnt im Frühjahr 1932 und endet Anfang der 50er-Jahre in Barcelona. Und das ist das Faszinierende daran: Dass sie sich über 20 Jahre erstreckt, in mehreren politischen Systemen spielt - in der Spätzeit der Weimarer Republik, der Nazizeit, der frühen Bundesrepublik und in der spanischen Franco-Diktatur. Das ist ein wirklich faszinierender Plot. Auf den Fall des Dr. Mühe aufmerksam geworden bin ich im Berliner Landesarchiv, als ich dort die polizeiliche Ermittlungsakte gefunden habe.

EberhardtIst Ihr Buch ein Krimi?

„Das Verschwinden des Dr. Mühe“ ist auf der einen Seite ein ungelöster faszinierender Kriminalfall, auf der anderen Seite aber auch eine Erzählung über den Verlust von Anstand und Moral am Vorabend der Diktatur.  Das Sittenbild einer verkommenden Gesellschaft, einer sich verdüsternden Zeit. Und es ist eine Berlin-Saga, weil etwa die spezifischen Lebensumstände in der damaligen Reichshauptstadt eine große Rolle spielen.

Mehr Infos zum Buch: www.doktormuehe.de

Das Buch für 20 Euro im FELIX-JUD-Webshop bestellen - versandkostenfrei oder Abholung am Neuen Wall 13 in Hamburg am nächsten Tag (bei Bestellungen bis 17 Uhr). 









Freitag, 18. September 2020

Unbändige Kraft der Natur

Noch bis zum 26.9.2020 läuft bei uns die Ausstellung "Lichtspiele" von Hermann Reimer. Robert Eberhardt hat den Maler in seinem Berliner Atelier besucht.

Wer sich eine Landschaft oder ein "Baumporträt" von Hermann Reimer in die Wohnung hängt, kann sich einen Spaziergang sparen und in den heimischen vier Wänden "waldbaden". Intensiv ist das Licht- und Farbspiel, mit dem Hermann Reimer Naturstimmungen festhält. Er versteht es meisterhaft, das selbst für Fotografen schwer zu fassende, diffuse "Waldlicht" einzufangen: den starken Hell-Dunkel- Kontrast von Sonnenstrahlen und schattigen Partien, das durch das Blätterwerk gefilterte und durchgrünte Licht, die changierenden Optiken auf moosigem und belaubtem Waldboden. Zudem schwingt das Mythologische des Waldes stets mit: der Raum des Märchens, das Nicht-Urbane, das romantisch Geheimnisvolle. Die unbändige Kraft der Natur, das Sprießen und Durchdringen der unaufhaltsamen Pflanzenwelt, angefeuert von Licht und Sonnenkraft, schreibt sich in seine Bilder ein. Man versteht den Wald als Raum, der ganz anderen Gesetzen folgt wie Architektur und Wohnraum. 

Viele seiner kleinformatigeren Bilder malt Hermann Reimer im Freien. Als Meisterschüler von Klaus Fußmann steht er der realistischen wie naturverbundenen Malergruppe nahe, die mit Christopher Lehmpfuhl und Till Warwas derzeit ihre bekanntesten Vertreter findet. Große Formate fertigt Hermann Reimer in seinem Atelier in Berlin an, in einem alten Fabrikgebäude, das als Solitär auf freier Fläche nahe der Stadtautobahn steht und vom Senat komplett an Berliner Künstler vermietet wird. 

Hier entstehen auch Bilder mit Spiegelmotiven - neben Walddurchsichten eine bildnerische Spezialität von Reimer. In ungewöhnlichen Bildausschnitten zeigt er Landschaften in ihren anteiligen Spiegelungen in Wasseroberflächen von Seerosenteichen, Tümpeln oder Kanälen. Es ist das Robuste der Natur, das Materielle, die Konstruktion, was Reimer zu interessieren scheint. Nicht der liebliche, klassisch gesehene Landschaftssauschnitt, sondern die ungewohnte, ausschnitthafte Perspektive, in deren Zufälligkeit sich die starke, unverstellte Landschaft zeigt. Deshalb wirken seine Bilder: als ästhetischer Kraftausdruck der Natur.

Die Ausstellung "Lichtspiele" ist bei uns am Neuen Wall 13 noch bis zum 26.9.2020 zu sehen, von Montag bis Samstag 10 bis 18 Uhr. 










Mittwoch, 16. September 2020

Leere Flure, aber viel verlegerische Energie


Urlaub und Reisen in Deutschland - unser Mitarbeiter Marcus Dahmke hat Hamburg verlassen und den Kiwi-Verlag in Köln besucht: 

Leere Flure, verwaiste Zimmer, stickige Konferenzräume. Was sich so dramatisch anhört, war und ist teilweise noch traurige Verlagsrealität.

Am Freitagnachmittag sind die Verlagsräume von Kiepenheuer und Witsch nahe des Kölner Doms leer – typisch für einen Freitag; gleichzeitig ist in diesem Sommer nur wenig wie immer.

Mirjam Mustonen, Key Accounterin im Vertrieb, erzählt vom Alltag in Corona-Zeiten, während wir durch das nahezu menschenleere Stockwerk gehen; vorbei an geöffneten Türen, Glaskästen mit Lizenzausgaben von z.B. Frank Schätzing, Autorenfotos und (nur scheinbar!) wahllos zusammengestellten Bücherbergen.

Bei Kiepenheuer & Witsch hat man auf die schwierige Zeit flexibel reagiert. Homeoffice und Arbeiten im Verlagsgebäude – für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter wurde die Lösung gefunden, die zur Lebenslage passt und ein erfolgreiches und sicheres Arbeiten garantiert.

Wichtig beim Arbeiten im Verlag sei vor allem, dass die Sicherheitsabstände und Gesundheitsmaßnahmen eingehalten werden können. Risikos minimieren und MitarbeiterInnen schützen ist oberstes Gebot.

Viel Abstimmung ist nötig in diesen Tagen, immer noch: nicht nur verlagsintern, sondern auch mit dem Handel, den Großhändlern und der Auslieferung in Hamburg. Zum Glück gibt es inzwischen wieder so etwas wie einen Alltag.

Mitte März sah die Situation noch ganz anders aus. Viele Buchhandlungen haben ihre Aufträge storniert, Kontaktpersonen waren nicht erreichbar, niemand konnte sagen, wie es in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten weitergehen wird. Die ganze Arbeit, die in die Vorbereitung der Leipziger Buchmesse gesteckt worden ist, konnte durch die Absage nicht mehr umgesetzt werden, berichtet Mirjam. Für die Frankfurter Buchmesse, die im Herbst stattfindet, plane man nun mit einem Online-Programm. Einen Messestand wird der Verlag in diesem Jahr dort nicht haben. Man kann sich nicht 100-prozentig darauf verlassen, dass bis dahin alles überstanden sei. Wie um ihre Worte zu belegen, strömen hinter den Fenstern der Arbeitsräume des Verlages auf dem Bahnhofsvorplatz und am Kölner Dom Menschenmengen durch die Stadt. Wahrscheinlich ist diese kurzfristige Lösung wirklich die einzig richtige Entscheidung. Auch wenn das neue Format mit viel zusätzlicher bzw. ungewohnter Arbeit verbunden ist...

Die Umstellung zum Homeoffice sei anfangs durchaus ein Kraftakt gewesen, Programme mussten installiert, Hardware zur Verfügung gestellt, die Datensicherheit garantiert werden; einiges ließe sich trotzdem nicht ohne Probleme von zuhause aus richten. Zusammenarbeit sei das Zauberwort ... und Erreichbarkeit. Viele Probleme, die man selber aus dem Arbeitsalltag der letzten Monate kennengelernt hat, spricht Mirjam an. Und die vielen erfolgreichen Lösungen.

Zum Abschluss wenden wir uns vor der Bücherwand in ihrem Arbeitszimmer, natürlich mit 1,5 Meter Abstand, dem Herbstprogramm zu. Der neue Meyerhoff ist schon im Druck, Thomas Hettches neuer Roman wird gespannt erwartet (mich eingeschlossen).

Länger reden wir über die ehemalige Top-10 Weltranglisten Tennisspielerin Andrea Petković, von der Kiepenheuer und Witsch ihre ersten autofiktionale Erzählungen herausbringen wird. „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ heißt der Band, der Anfang Oktober in diesem Jahr erscheinen wird. Vieles aus ihrem eigenen Leben soll Petković verarbeitet haben, humorvoll und literarisch verdichtet, kleine Parabeln eines Sportlerinnenlebens. Also nicht nur für Tennisliebhaber ein interessantes Buch; schließlich gehe es auch im Leben immer wieder um Sieg und Niederlage und (vielleicht passender in dieser Zeit): um seltene Glückmomente. Wir dürfen gespannt sein. Ich bin es auf jeden Fall!


Ganz herzlichen Dank an Dich, Mirjam, für die Einladung und den herzlichen Empfang (sogar in den Verlagsräumen, womit ich in Corona-Zeiten nicht gerechnet habe) und die ausführlichen Antworten auf meine vielen Fragen. Dieser kleine Bericht wird dem Umfang nur in Ansätzen gerecht.