Dienstag, 9. Mai 2023

 

Irische Literatur

Irland, diese wunderschöne grüne Insel, zeichnet nicht nur für ihre atemberaubenden Landschaften, freundlichen Einwohner, U2 und das gute Bier aus: Irland ist auch ein Land der Kultur. Dieses Land, mit seiner überschaubaren Bevölkerung, hat auch eine beachtliche Anzahl literarischer Legenden hervorgebracht. Hier möchten wir Ihnen eine kleine Gruppe irischer Autoren vorstellen und Ihnen ein paar Leseempfehlungen geben.

James Joyce

ist natürlich einer der berühmtesten irischen Autoren und wichtigster Vertreter der irischen Moderne. Mit seinen experimentellen Texten hat er so manch einem Literaturstudenten Kopfschmerzen bereitet. Der Ulysses-Autor wurde 1882 in Dublin geboren und verstarb 1941 in der Schweiz. Wie viele Iren hatte Joyce eine komplizierte Beziehung zu seinem Herkunftsland und mehr als die Hälfte seines Lebens auf dem europäischen Festland. Trotzdem, wie stets in seinen Werken zu lesen ist, hatte er eine Intensive, wenn auch komplizierte, Liebe zu Dublin selbst und die Stadt ist Protagonistin in seinen Werken. Wenn man Dublin erkunden möchte, kann man das durch die Bücher von Joyce mühelos zuhause aus.

Dubliner, eine Sammlung von fünfzehn unabhängigen Kurzgeschichten, ist sein erste Prosawerk. Aus einer Kombination von Autobiografischen Elementen und Beobachtungen aus dem Leben, hat Joyce in diesem Zyklus seine Heimatstadt portraitiert.

Joyce legt großen Wert auf die realistische Darstellung von Dublin und seinen Einwohnern. Einige Szenen sind autobiografisch inspiriert, viel entstammt seiner erstaunlichen Beobachtungsgabe, oft hat er sich am Leben seiner Freunde und Verwandten vergriffen. Wahrheit und ihre Darstellung waren für Joyce nicht nur von künstlerischer, sondern auch vor moralischer Priorität. Er hielt es für wichtig der irischen Bevölkerung zu zeigen, wer sie sei und schrieb an seinen Verleger, als die Publikation sich verzögerte: „Ich glaube ernsthaft dass Sie den Fortschritt der Zivilisation in Irland dadurch aufhalten werden, dass Sie die Iren daran hindern einen Blick in den Spiegel zu werfen.“

Die Iren, die in Dubliner skizziert werden, sind eindeutig vom hundert Jahre andauernden Niedergang der Stadt beeinträchtigt. Dublin hat zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zwar noch beeindruckende Straßenzüge und Parks, doch die Wirtschaft liegt fast still. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele leben in unzumutbaren Umständen. Joyce konzentriert sich auf die Charaktere der unteren Mittelschicht und ihre Sorgen. Jegliche sozialen Ambitionen, die seine Protagonisten pflegen mögen, werden als naiv entlarvt. Gewalt gegen Kinder und Frauen, ist ein wiederkehrendes Thema. Joyce kritisiert auch die Macht, die die katholische Kirche ausübt. Er hält die Kolonialherrschaft der Engländer für den Ursprung allen Übels auf der Insel und wundert sich doch, warum die Bevölkerung sich so bereitwillig von der Tyrannei Englands in die aus Rom flüchtet.

In wenigen Worten bekommt man ein klares Bild einer Stadt und einer Zeit. Joyce‘ Talent liegt darin Details so zu schreiben, dass mit wenig Pinselstrich ein überzeugendes Portrait einer Stadt entsteht.

James Joyce, Dubliner, 254S, € 4,95


Flann O‘Brien

Flann O‘Brien, der eigentlich Brian O’Nolan heißt, wurde 1911 in country Tyrone geboren und starb 1966 in Dublin. Wie auch James Joyce, von dem er beeinflusst wurde, ist er als einer der wichtigsten Vertreter der irischen Moderne bekannt und er wird vor allem für seinen Humor geschätzt, den er auch in seinen Satiren zur Schau stellt. Schon als Student fing er fleißig an zu schrieben und gründete mit einigen Kommilitonen auch ein Literatur Magazin

The Third Policeman wurde zwischen 1939 und 1940 geschrieben, fand jedoch keinen Verleger. Erst im Jahr nach dem Tod des Autors wurde der Roman veröffentlicht. Das Buch spielt auf dem Land und wird aus der Perspektive eines jungen Forschers erzählt, der sich mit dem fiktiven Philosophen de Selby beschäftigt. In seiner Jugend erleidet unser Erzähler mehrere Schicksalsschläge: er verliert nicht nur sein Bein, sondern auch seine Eltern. Doch er widmet sein Leben Recherche über de Selby und verfasst schließlich ein Buch, welches er selbst für ein Meisterwerk hält. Leider hat er aber kein Geld, und somit keine Möglichkeit es zu veröffentlichen. Als er feststellt, dass sein Freund Divney aus Neid und Gier einen Mord plant, um den wohlhabenderen Mathers zu bestehlen, sieht er seine Gelegenheit an Geld zu kommen. Da Divney nach dem Attentat nicht verraten möchte, wo er seine Beute versteckt hat, weicht der Erzähler ihm nicht mehr von der Seite. Und das über mehrere Jahre hinweg. Schließlich führt ihn eine Kombination eigentümlicher Vorkommnisse zu einer Polizeistation, in der drei Polizisten sitzen, die von Fahrrädern fasziniert sind. Gänzlich unerwartet lernt er hier eine wilde Mischung verwirrende Theorien und irrationale Konzepte kennen. Es geht um die Essenz der Zeit, Tod, und Existenz.

The Third Policeman ist mysteriös und surreal. Auf seine experimentelle Art macht sich der Autor über irische Kultur, Sprache und Gesellschaft lustig. Die Insel mit ihrer komplizierten Geschichte und ihren komplexen Einwohnern stehen im Mittelpunkt des Romans. All das verpackt Flann O’Brien mit spielerischer Freude in viel Humor. Wer keine Angst vor absurden Texten hat, wird von dieser Lektüre reich belohnt.

Flann O'Brien, The Third Policeman, 221S, € 12,55


Colm Toìbìn

Colm Toìbìn, geboren 1955 in County Wexford, ist ein sehr aktiver und erfolgreicher Autor. Er hat zehn Romane geschrieben, hat Kurzgeschichtensammlungen herausgebracht und viele sachliche Texte verfasst. In seinen Kurzgeschichten und Romanen befasst Toìbìn sich mit irischer Gesellschaft und Diaspora, der katholischen Religion und ihren Vermächtnissen, und auch mit Maskulinität und Homosexualität.

Brooklyn, erschienen im Jahr 2009, spielt in den fünfziger Jahren und befasst sich mit einem weiteren Thema, das Irland bis heute stark beeinflusst: der Auswanderung. In den 50ern ist Irland noch ein sehr armes Land, für junge Leute gibt es kaum Perspektiven, Jobs sind rar, gute Jobs eigentlich nicht existent. Eilis Lacey ist eine junge Frau aus Enniscorthy, deren Familie mit Hilfe des Pastors organisiert, dass sie Irland verlassen und nach New York auswandern kann. Sie arbeitet in einem Kaufhaus und nimmt an einem Buchhaltungskurs teil. Doch Heimweh, verstärkt durch den langweiligen Job und das Leben im Haus einer strengen Irin, plagt sie sehr und lässt sie an ihrer Entscheidung, die Heimat zu verlassen, zweifeln. Ganz langsam gestaltet sie ihr bescheidenes Leben und verliebt sich schließlich in einen italienischen Klempner – und schon sieht die Welt viel schöner aus! Eilis kann die Möglichkeiten, die New York ihr bietet, wieder sehen und genießen. Sie malt sich aus, wie ihr Leben mit Tony sein könnte. Bis zuhause in Irland ein Unglück passiert und sie für einige Wochen in die Heimat zurückkehren muss. Am Beispiel einer jungen, mutigen und doch ängstlichen Frau, stellt Colm Toìbìn den Zwiespalt dar, den manch ein Migrant verspürt. Eilis ist hin und hergerissen zwischen der Verbundenheit zu ihren Wurzeln und dem Ort, an dem sie glaubt wachsen zu können.

Brooklyn ist ein feinfühliger und berührender Roman der genau dieses Zerrissen Sein, dass so viele Iren erfahren haben, gekonnt in den Vordergrund rückt.

Colm Toìbìn, Brooklyn, 304S, € 10,90


Claire Keegan

Claire Keegan wurde 1968 in Wicklow, südlich von Dublin geboren und bekannt durch ihre Kurzgeschichten, welche sie seit 1999 veröffentlicht. Den größten Erfolg hatte sie jedoch mit Kleine Dinge Wie Diese (2021). Was Keegan so besonders macht ist ihre sparsame Sprache. Sie braucht nicht mehr als einhundert Seiten um alles zu sagen, was gesagt werden muss. Dieses Buch ist wie ein Diamant, komprimiert bis nur noch das notwendige übrigbleibt und das strahlt unwahrscheinlich hell.

Es ist kurz vor Weihnachten 1985 in einer kleinen Stadt in Irland. Bill Furlong ist Kohlehändler und weiß, dass für ihn die arbeitsamste Zeit beginnt. Es ist Winter und kalt, jeder friert, doch auf dem Land in Irland ist man arm. Kaum jemand kann sich die Energie leisten, die zum Heizen gebraucht wird. Wir folgen Furlong von Haus zu Haus und treffen einen sehr großzügigen Mann, der seinen Kunden ihre Bestellung gerne auf Rechnung liefert, auch wenn er nicht weiß ob er bezahlt werden wird. Zuhause muss seine Frau versuchen auch ohne das Geld die fünf Töchter zu ernähren. Eine Mutter, die die Güte und Großzügigkeit ihres Mannes liebt, sich aber zum Schutz ihrer Kinder dagegen wehren muss. Eines Morgens stößt Furlong auf etwas, dass sein Weltbild verändert und in ihm eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit auslöst.

Am Rande der Stadt ist ein Konvent, mit einer Schule, die auch seine Töchter besuchen und einer Wäscherei, in der junge Frauen arbeiten. Als Bill Furlong die Kohlelieferung für das Konvent abgehen möchte, kommt er an einer Tür vorbei die geschlossen hätte sein sollen und trifft auf ein Mädchen, schmutzig, ausgehungert und auf der Suche nach ihrem Baby. Sie wird schnell eingefangen und weggebracht, Furlong wird von einer Schwester abgelenkt, aber die Bilder werden ihn nicht mehr verlassen.

Diese kleine aber eindrucksvolle Novelle dreht sich um die Macht, die die katholische Kirche bis vor kurzem auf Irlands Bevölkerung ausgeübt hat. Die Magdalene Laundries waren von der Kirche geführte Heime, in denen junge Frauen, die zum Beispiel außerehelich schwanger wurden, eingesperrt und versklavt wurden. Die Spannung in Keegans Buch stammt zum einen aus der Frage ob Furlong auf seine Erkenntnis hin handeln wird, zum anderen aus der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der er lebt, in der viele wissen oder zumindest vermuten, was vor sich geht und doch niemand etwas unternimmt. Furlong kämpft mit dem Wissen, dass eine falsche Entscheidung den Ruin für seine Familie bedeuten könnte, doch sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe und er kann nicht umhin sich vorzustellen, wie sein Leben ganz anders hätte verlaufen können.

Claire Keegan, Kleine Dinge wie diese, 112S, € 20


Audrey McGee

hat im letzten Jahr ihr zweites Buch veröffentlicht und wurde schon für den Women’s Prize for Fiction und den Booker Prize nominiert.

The Colony handelt von den Zwängen und Regeln, die einer Gesellschaft durch die Kolonisierung auferlegt werden und beschäftigt sich insbesondere mit deren Auswirkung auf Sprache und Kunst. Der Roman spielt auf einer winzig kleinen irischen Insel (gerade mal 3 Meilen lang) in den späten 70er Jahren. Es ist einer der wenigen Orte an denen noch ausschließlich Irisch gesprochen wird und die Einwohner stark traditionsverbunden Leben. Die alltägliche Routine wird unterbrochen, als zwei Fremde für den Sommer auf die Insel kommen.

Mr Lloyd ist Künstler aus London, der sich sehnt die Steilküsten und fast unberührten Landschaften zu malen und seine stagnierende Karriere wiederzubeleben. Er erwartet Einsamkeit und ist dementsprechend verärgert, als er feststellt, dass noch ein anderer Ausländer zu Gast kommt. Jean-Pierre ist ein französischer Linguist, der schon seit Jahren regelmäßig auf die Insel reist, um die Entwicklung der irischen Sprache in diesem fast gänzlich abgeschlossenen Raum zu studieren. Die Anwesenheit des Engländers beunruhigt ihn, da er die jüngeren Bewohner zum Englisch sprechen anregt und er befürchtet, seine Studien nicht mit dem gewünschten Ergebnis abschließen zu können. Er sieht diese Insel als „sein“ Land, auf das er als Wissenschaftler Vorrecht hat.

Der Engländer und der Franzose kommen sich immer wieder in die Quere und werfen einander vor, idealisierte Bilder der Insel und ihrer Einwohner zu haben. Schließlich wird dieser Kampf vor allem auf dem jungen James ausgetragen, einem der wenigen Jugendlichen, die hier noch leben. James – Seamus, wie JP ihn gegen seinen Willen nennt – möchte nicht enden wie sein Vater, Onkel und Großvater, die beim Fischen verunglückt und ertrunken sind. Er fürchtet das Meer, und obwohl er eine enge Beziehung zu seiner Mutter hat und für seine Familie da sein möchte, kann er sich eine Zukunft nicht vorstellen in der er lediglich die Vergangenheit wiederholt. Er fühlt sich zu der Kunst Lloyds hingezogen und schon bald überzeugt er den grimmigen Maler dazu ihm etwas beizubringen. So entwickelt James den Wunsch die Insel zu verlassen und in London Kunst zu studieren. Doch noch etwas dringt von außen auf die Insel: immer häufiger werdende Nachrichten von Gewalt und Opfern der „Troubles“ in Nordirland. Das Buch ist immer wieder unterbrochen von kurzen, sachlichen Reportagen über die terroristischen Anschläge und Morde zwischen Protestanten und Katholiken. Schritt für Schritt findet diese Realität auch Einzug in die Gedanken und Unterhaltungen der Inselbewohner.

The Colony ist eine Geschichte von Gewalt und dem Kampf um Selbstbestimmung. Auf dieser Insel wird der Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt ausgetragen. Das Besondere an diesem Roman ist die Sprache. Sie ist poetisch, anregend, stark.

Magee, die ursprünglich Journalistin ist, sagt, die hat versucht in Romanform an eine Wahrheit heranzukommen, die man in der Reportage so nicht darstellen kann. Gewissermaßen eine existenzielle Wahrheit, welche die Natur einer Gesellschaft präsentiert. Ähnlich wie Joyce, vielleicht. Für mich schafft sie das insbesondere mit ihrer Landschaftsbeschreibung. Sie beschreibt die west-irische Landschaft so treffend, dass man sich dort hin versetzt fühlt und nachvollziehen kann unter welchen Umständen die Inselbewohner leben. Beim Lesen hat man das Gefühl, den Wind in Magees Sprache hören zu können und das Meer vor Augen zu haben.

Audrey Magee, The Colony, 256S, € 11,50

Und weil man irische Literatur nicht auf diese fünf Vertreter beschränken kann, finden Sie hier noch ein paar weitere Empfehlungen: