Freitag, 5. Februar 2021

"Vom Wind verweht" in einem neuen Gewand

1936 ist Gone with the wind von Margaret Mitchell erstmalig in den USA erschienen, im Herbst 2019 kam der Text in einer neuen zeitgemäßen Übersetzung von Andreas Nohl und Liat Himmelheber bei Kunstmann als Leinenband mit Schutzumschlag heraus. In Vom Wind verweht wird die Geschichte um Scarlett O’Hara, einer aus den Südstaaten Nordamerikas stammenden, jungen, selbstbewussten Frau erzählt, die in den Wirrnissen des Bürgerkriegs erwachsen wird. Über die Herausforderungen der Übersetzungsarbeit und vieles mehr hat Marcus Dahmke mit Andreas Nohl gesprochen. 


Dahmke: Lieber Herr Nohl, Sie haben den Text modern eingekleidet, wenn ich das so sagen darf. Bedurfte er eines neuen sprachlichen Gewandes?

Nohl: In der neuen Übersetzung wirkt er sicherlich moderner als in der alten. Das hat damit zu tun, dass wir den journalistischen Stil von Margaret Mitchell übernehmen. Hinzu kommt, dass die erste Übersetzung den zeitbedingt impliziten Rassismus des Buchs unerträglich verstärkt hat, ganz besonders auch in den Dialogen, in denen die Sklaven als geistig minderbemittelt erscheinen, während Mitchell nur ihren Dialekt phonetisch möglichst genau wiedergegeben hat. Zusätzlich hat man als Übersetzer die Möglichkeit, die Ausdrucksweise dem heute akzeptablen Sprachgebrauch anzupassen, also negroes heißen bei uns „Schwarze“ etc. Nur wo Rassisten reden, gebrauchen diese auch eine rassistische Sprache, und das ist ganz im Sinne von Mitchell, die dezidiert kein rassistisches Buch schreiben wollte, auch wenn es von einer stark vom Rassismus geprägten Zeit handelt. Wenn wir aber von Modernität in einem noch tieferen Sinn sprechen wollen, dann müssen wir uns vor Augen führen, was der traditionelle Südstaatenroman bis dahin gewesen war – nämlich eine chauvinistische Beweihräucherung der Sklavenhaltergesellschaft. Damit hat Mitchell gebrochen.

Dahmke: 1937 kam bereits die erste und bisher einzige Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach heraus, die sie bereits angesprochen haben. Über 80 Jahre später folgt nun die nächste von Ihnen und Liat Himmelheber. Weiß man als Übersetzer, wann der richtige Zeitpunkt für eine Neuübersetzung gekommen ist? Und wie haben Sie sich die Arbeit zu zweit aufgeteilt?

Nohl: Naja, es war ein Zufall, dass ich in einem Kompendium über amerikanische Autoren und Autorinnen auf Mitchell gestoßen bin und begann, ihrem merkwürdigen frühen Tod nachzuforschen – sie wurde ja am helllichten Tag von einem Taxifahrer zu Tode gefahren. Dabei habe ich mir dann die alte Übersetzung angesehen und fand, dass man einem so wirkungsmächtigen Buch doch im Deutschen eine angemessenere Form geben sollte. – Wir, also meine Frau und ich, haben uns einfach Portionen geteilt, ich habe angefangen, dann hat Liat angeschlossen. Insgesamt hat sie den etwas größeren Teil übersetzt. Dafür habe ich dann das Nachwort und die aufwendigen Anmerkungen beigesteuert. Und unsere Texte haben wir gegenseitig lektoriert. Dabei haben wir uns natürlich auch immer intensiv ausgetauscht.

Dahmke: Viele trauern dem alten Titel hinterher, dem poetischen e im Vom Winde verweht. Ist das Nostalgie oder hat man sich einfach zu sehr an die alte Übersetzung gewöhnt?

Nohl: Dazu sollte man vielleicht wissen, dass Gone with the wind einem Gedicht des englischen symbolistischen Dichters Edward Dowson entstammt, es ist eine Art Klagelied über eine verlorene Geliebte namens Cynara. Dowson schrieb Ende des 19. Jahrhunderts, er wurde von Stefan George geschätzt, der drei seiner Gedichte übersetzt hat. George hätte niemals „vom Winde“ geschrieben, weil er ebenso wenig romantisch veranlagt war wie Dowson. Also auch hier geben wir einer sachlicheren Version den Vorzug. Außerdem, wenn Sie sich einmal das Metrum von Gone with the wind und Vom Wind verweht anschauen, werden Sie eine Übereinstimmung feststellen.

Dahmke: Wie Sie in Ihrem Nachwort schreiben, wollten Sie sich am journalistisch-unsentimentalen Zeitgeist der 30er Jahre orientieren, weg von Romantizismen und neoromantischen Formulierungen... durch die Literaturkritik und die Verfilmung wird der Text aber vielfach noch als romantisierend wahrgenommen, auch wenn das die Autorin vielleicht gar nicht wollte. Arbeitet man als Übersetzer für eine Neuinterpretation einer Geschichte?  

Nohl: Da die alte Übersetzung stark in den Text eingegriffen hat durch Kürzungen und eine Veränderung der ganzen Stilhaltung, kann man in unserem Fall tatsächlich von einer „Neuinterpretation“ sprechen. Das heißt, die innere ästhetische Logik des Originals wird in der Neuübersetzung ernst genommen und möglichst nah am Ursprungstext ins Deutsche transportiert. Die Verfilmung des Stoffs verkürzt ein reichhaltiges, historisch gut recherchiertes Werk auf die reinen Liebeswirren, so dass es kein Wunder ist, dass hier der Eindruck von reiner Kolportage entsteht, doch das tut dem Buch Unrecht.

Dahmke: Ein Aspekt, der in den Monaten nach dem Erscheinen der Neuübersetzung heiß diskutiert worden ist, sind die Rassismen, die im Original und in der ersten deutschen Übersetzung verwendet worden sind. In der Erzählstimme wurden diese durch andere Worte, wie z.B. „Schwarzer“ für „Neger“ ersetzt. In den Gesprächen der Protagonisten tauchen Rassismen wie „Darky“ immer noch auf. Was für ein Drahtseilakt es sein muss, allen Lagern in der Diskussion gerecht zu werden, kann ich mir vorstellen. Wäre es nicht einfacher gewesen, bei der ursprünglichen Textgestalt zu bleiben bzw. was gab den Ausschlag für die Anpassung? 

Nohl: Ja, hier war eine seltsame Erfahrung, dass die einen uns vorgeworfen haben, wir hätten einen rassistischen Roman übersetzt, während andere Beheim-Schwarzbachs radebrechende Dialoge vermissten. Beide Sichtweisen basieren auf einem grundlegenden Missverständnis: nämlich dass es ein Buch über Rassismus sei. Das Werk hat aber keine rassistische Agenda, der Rassismus ist nur die gesellschaftliche Folie, vor der sich der Bürgerkrieg und die Emanzipationsgeschichte von Scarlett O’Hara abspielt. Dass Scarlett als Tochter eines weißen Pflanzers die Vorurteile ihrer Zeit gegenüber Schwarzafrikanern teilt, überrascht weiter nicht. Aber es gibt Szenen in dem Roman, die dem üblichen Rassenklischee unmittelbar widersprechen. Und außerdem handelt es sich um eine großangelegte Kritik der Südstaaten.– Was die „Darkys“ betrifft, so sind wir ja extra bei der ursprünglichen Textgestalt geblieben! Dieser verniedlichende Begriff für schwarze Sklaven kommt aus dem Mund von Sklavenhaltern, die Rassisten sind: genau diesen Zynismus wollten wir in der Übersetzung gewahrt wissen. Dass wir das N-Wort konsequent ersetzt haben, ist nicht nur eine Frage des Takts Menschen mit dunkler Hautfarbe gegenüber, sondern macht das Buch in unseren Augen für das heutige Publikum überhaupt erst lesbar.

Dahmke: Vielen Dank, lieber Herr Nohl, für das sehr interessante Gespräch und herzlichen Dank an Antje Kunstmann, die das Interview ermöglicht hat!

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