Freitag, 14. August 2020

Die Nachtseiten des Lebens. "Nocturnes" bei Steidl

Im Gespräch mit dem Herausgeber und Übersetzer Andreas Nohl

 

„Abends, wenn die Zweckverordnung des Lebens ein Ende hat, der Geist endlich frei wird und sich öffnet für das Unheimliche und Dunkle, ist Lesezeit, ist Zeit für Nocturnes.“, heißt es im Ankündigungstext der neuen bibliophilen Reihe im Herbstprogramm vom Steidl-Verlag. Wir wollten mehr wissen! 

 

Marcus Dahmke: Lieber Herr Nohl, wie kamen Sie auf die Idee zu dieser Reihe? War es ein Abend mit Rotwein und einem zu übersetzenden Text, im Hintergrund die melancholischen Moll-Akkorde von Chopin...?

Andreas Nohl: Sie haben nicht ganz Unrecht, es war wirklich ein später Abend, aber ich glaube, es war kein Rotwein. Ich hörte eine Chopin-Einspielung von Harasiewicz, die ich quasi seit Schülertagen besitze, und da blitzte die Idee für eine solche Edition in mir auf. Ich fing an zu recherchieren und fand viele andere enorm faszinierende Berührungspunkte, so etwa die „Nocturnes“ von James Abbott McNeill "Whistler". Und auch die Musik von John Field hat ja bereits etwas sehr Anrührendes.

Dahmke: Inzwischen sind die ersten drei Bände erschienen: „Der Fall Moosbrugger“ von Robert Musil (ein Auszug aus „Mann ohne Eigenschaften“), die Novellensammlungen „Tamango“ von Prosper Mérimée, sowie Richard Middletons „Das Geisterschiff“. Ein historischer Kriminalfall, Seegeschichten und Spuk- und Geistergeschichten. Geschichten, die vom Nachtseitigen und Abgründigen erzählen: im Menschen und in der UnNatur des Dies- und Jenseits. Mögen Sie ein paar Worte zur Auswahl sagen?

Nohl: Ich wollte in jedem Fall eine bestechende Auswahl vorlegen, und zwar sowohl inhaltlich wie vom literarischen Zugriff her. Damit meine ich das „Faszinationspotenzial“ der Texte. Jedes Buch sollte in seinem literarischen Kosmos selbstevident sein. Das heißt, im Grunde habe ich mich für eine Auswahl entschieden, die mich als Leser selbst interessieren würde. Natürlich kommt es dann auch immer auf die Zusammenstellung der Autoren bzw. Autorinnen an und darauf, ob man möglicherweise noch jemanden überraschen kann. Ich denke, das ist bei den drei Büchern nicht so schlecht gelungen.

Dahmke: Ich muss gestehen, dass mich vor allem die Texte von Richard Middleton, den ich bisher noch nicht kannte, in den Bann gezogen haben; ein Geisterschiff, das nach einer stürmischen Nacht im Rübenacker des Gastwirts landet und das Gespensterleben eines englischen Dörfchens durcheinanderbringt, Geschichten von Außenseitern, die sich in ihre vermeintliche Einsamkeit zurückziehen. Melancholisch-tiefsinnige Novellen...

Nohl: Ja, Richard Middleton liegt mir sehr am Herzen. Ich kenne ihn seit meiner Jugend und bin wirklich froh, ihn in Deutschland vorstellen zu können. Er ist so feinsinnig, dass man ihn leicht übersehen kann – er ist eine Art englischer Robert Walser, nur mit einem sehr viel kleineren Oeuvre. Und da er Engländer ist, ist er natürlich auch düsterer und nebliger und unschweizerischer. Aber eben auch nicht ohne Witz. Die Geschichte mit dem Sargverkäufer zum Beispiel, wie nah ist die an Sherlock Holmes und Dr. Jekyll & Mr. Hyde gebaut, und man ist sofort in London. Einfach großartig.

Andreas Nohl (Copyright: Mercan Fröhlich)
Andreas Nohl (Copyright: Mercan Fröhlich)

Dahmke
: Viele andere Namen kommen einem in den Sinn: E.T.A. Hoffmann und andere Vertreter aus der Spätromantik, Edgar A. Poe, Joseph Conrad, Stevenson, Arthur Conan Doyle, Maupassant (der ja auch Vampirgeschichten geschrieben hat) und und und.  

Für die Nocturnes sind Sie Herausgeber und Übersetzer. Alexander Pechmann, mit dem ich Anfang des Jahres ebenfalls über diese beiden Verantwortungsebenen gesprochen habe, meinte (und ich möchte ihn hiermit zitieren), dass es besonders wichtig sei, das deutsche Lesepublikum an „die ungeheure Vielfalt der Literatur zu erinnern, vergessene Autoren wieder ans Licht zu bringen und vergessene Texte berühmter Autoren auszugraben.“

Darf man schon verraten, was uns in Zukunft noch erwarten wird?

Nohl: Der Plan für die nächsten drei Bände steht bereits, es wird eine verblüffende deutsche Ersterscheinung aus dem englischen Bereich geben, etwas Fernöstliches und wiederum etwas Deutsches. Alles Weitere unterliegt leider dem Datenschutz.

Dahmke: Dann kann das Rätselraten ja beginnen. Zuletzt müssen wir natürlich noch über die wunderschöne Ausstattung sprechen: Leineneinband, Fadenheftung, Lesebändchen, jeder Band mit einem Nachwort versehen. Alleine durch das bibliophile, reduzierte Äußere heben sich die Bücher von vielen anderen ab! Wie kam es zu dieser Gestalt bzw. Gestaltung?    

Nohl: Das ist das Geheimnis der enorm begabten Buchdesignerin Paloma Tarrío Alves, die für den Steidl Verlag arbeitet. Ich war auch sehr beeindruckt, als ich die Cover sah. Im Übrigen war von Anfang an klar, dass der Anspruch einer solchen Reihe auch im Äußeren sichtbar sein muss. Und dass Steidl weiß, wie man schöne Bücher macht, ist ja kein Geheimnis.

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--> Richard Barham Middleton: Das Geisterschiff

--> Robert Musil: Der Fall Moosbrugger

--> Prosper Mérimée: Tamango

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