Dienstag, 25. Mai 2021

Annalena McAfees dritter Roman: Blütenschatten

Annalena McAfee neuer Roman Blütenschatten ist gerade bei Diogenes erschienen. Marcus Dahmke rezensiert:


Annalena McAfee dürfte im deutschsprachigen Raum, auch wenn Sie bereits mit Zeilenkrieg und Zurück nach Fascaray zwei Romane vorgelegt hat, (noch) recht unbekannt sein. Das ändert sich hoffentlich spätestens jetzt! Die in London geborene Autorin, ehemalige Feuilletonredakteurin bei der "Financial Times" und Gründerin der Kunst- und Literaturbeilage des "Guardian", hat nun ihren dritten Roman vorgelegt.

Foto: © Ollie Grove

Spielt ihr Debüt Zeilenkrieg im journalistischen Milieu und setzt sich mit dem Aufeinanderprallen von zwei unterschiedlichen Generationen und Typen von Journalistinnen auseinander, begibt sich McAfee nun literarisch in den nicht minder von Konkurrenzkampf und Erfolgsdruck gezeichneten Kunstbetrieb. 

Die Protagonistin von Blütenschatten, die Künstlerin Eve Laing, irrt durch das nächtliche London. Erinnerungen beherrschen ihre Gedankenwelt. Immer wieder wird die Rahmenhandlung unterbrochen, um Szenen aus der Vergangenheit zu zeigen: Eves Werdegang, eine wilde Jugend, der künstlerische Aufstieg, begleitet von kleineren und größeren Skandalen und Affären, ihre Ehe erscheint in Eves Augen trostlos und fad, geprägt durch Routinen und eine beidseitig einnehmende Arbeit.

Ein größerer Auftrag bietet der verkannten Künstlerin nun die Chance, sich in der modernen, in vielfacher Hinsicht kompromisslosen und durch die mediale Aufbereitung mehr und mehr beeinflussten Kunstwelt zu beweisen und Anerkennung zu finden. In ihrem Atelier im Osten Londons bereitet sie eine Installation vor: Ölbilder, die Nachtschattengewächse in einer vermeintlich idyllischen Bergwelt zeigen, filmische Frequenzen, die in Dauerschleife das Leben der Blumen vom Verwelken bis zum Keimen festhalten, und in Glaskästen schwebenden Pflanzen. Es soll ihr Meisterwerk werden. 

Mit einer kleinen eingeschworenen Gruppe aus Künstlerinnen und Künstlern stemmt sie sich dem Zeitdruck, bestimmt durch Händler und Galerien, entgegen. Mitglied dieser Gruppe ist ein junger Kunststudent, Luka, viele Jahre jünger als Eve, mit dem sie eine Affäre anfängt. Aber ist diese Liebesbeziehung glückbringend und belebend für das Projekt oder ist es doch eine Affäre zu viel im Leben?  



Annalena McAfee hat eine Protagonistin erschaffen, die einem – als ganz subjektivem Leser – zutiefst zuwider ist, so nazistisch und verantwortungslos sie in ihrer Art, vor allem im Umgang mit anderen Menschen, daherkommt. Ein Leben, das geprägt ist von Neid und Missgunst. Je tiefer man in Eves Erinnerungen vordringt, je mehr Affären und abstruse Geschichten sich dem Leser offenbaren, desto ambivalenter erscheint einem aber auf einmal die Protagonistin. Oder doch nicht? ... Ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste? Oder Schachfigur in einem Intrigenspiel?

Blütenschatten ist ein Text voller Dämonen (eigenen und fremden), ein Spiel mit Licht und Schatten, ein literarisches und psychologisches Manipulationsspiel erster Güte.


Ein kleiner aber – wie ich finde – lohnender Ausflug in die Botanik: Nightshades, wie das Buch im englischen Original heißt, oder auch Nachtschattengewächse (Solanaceae), charakteristisch durch fünfzählige Blüten mit verwachsenen Kelchblättern, verströmen in der Nacht einen betörenden Geruch. Sie dienen als Nahrung und Zierpflanzen und können in der Medizin u.a. als Rauschmittel verwendet werden. In geringen Dosen haben einige Nachtschattengewächse zwar eine schmerzlindernde (tröstende) Wirkung, die meisten Früchte und Blätter dieser Pflanzenfamilie sind allerdings giftig!

Den neuen Roman von Annalena McAfee können Sie bequem über den Felix-Jud-Webshop bestellen Blütenschatten - Produkt (buchkatalog.de) oder am Neuen Wall abholen. 

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