Dienstag, 22. Juni 2021

Tage mit Zelda und Scott

Sie waren vielleicht DAS Paar der Roaring Twenties: F. Scott und Zelda Fitzgerald! Marcus Dahmke spricht mit der Autorin Joséphine Nicolas über ihren Roman Tage mit Gatsby, erschienen im Dumont Buchverlag. 


Joséphine Nicolas ©MinaMassias


Dahmke: Liebe Joséphine Nicolas, F. Scott und Zelda Fitzgerald! Was fasziniert Sie an diesen beiden Charakteren?

Nicolas: In der Tat scheint das enorme Faszinationspotential der Fitzgeralds auch nach einhundert Jahren ungebrochen. Sie betörten die High Society New Yorks, tanzten durch die Prohibition, badeten nachts in Springbrunnen. Glamour, Skandale, Schlagzeilen - Zelda und Scott waren Meister der Selbstinszenierung, waren besonders, und selbstverständlich wussten sie um dieses Attribut. Wer könnte sich dem arroganten Charme ihrer Jugend entziehen? Die turbulenten Roaring Twenties galten den beiden als ideale Bühne, das Paar rückte sich stets neu ins Rampenlicht, um dem eigenen Mythos weiteren Glanz zu verleihen.

Doch es sind ihre kaleidoskopischen Charaktere, die für mich von Interesse sind, die mich überhaupt zu einer Recherche veranlassten. Hinter der rebellischen Fassade finden sich verletzliche Eigenschaften; sensible Menschen, denen die sich auflösende Grenzen zwischen Realität und Fiktion zum tragischen Verhängnis wurde.

Dahmke: Der große Gatsby ist zum zeitlosen Klassiker geworden und erfreut sich immer noch großer Beliebtheit. Warum übt genau dieser Roman von F. Scott Fitzgerald eine so große Sogkraft auf das Lesepublikum aus?

Nicolas: Interessanterweise hat sich dieser Sog erst nach Scotts Tod in den Vierzigerjahren entwickelt; tatsächlich war das Buch nach Erscheinen 1925 trotz guter Kritiken ein Flop.

Weitaus eindringlicher als seine beiden vorangegangenen Romane verkörpert der ‚Gatsby‘ das Sinnbild der Epoche des Jazz Age. Der Text ist geprägt von raschen, an Filmsequenzen erinnernde Szenewechseln, damals ein stilistisches Novum. Er steckt voller Symbolik und Vieldeutigkeiten, entzieht sich an manchen Stellen gar einer eindeutigen Auslegung, so dass er fast mystisch anmutet und Raum für Interpretationen bietet. Mich fasziniert der virtuose Sprach- und Erzählstil des Autors; wie bei vielen anderen Leser und Leserinnen wohl auch, ist es die poetische Verdichtung der Prosa, die mich in den Bann zieht. Wenngleich Scott anfangs den Titel und das Cover für den Misserfolg verantwortlich machte, war es neben dem Fehlen einer zentralen Frauenfigur übrigens genau jene Kürze, die ihm zum kommerziellen Verhängnis wurde. Zwischen den mondänen Buchdeckeln findet sich auf nicht einmal zweihundert Seiten eine Geschichte, die erst spät ihren Zauber entfalten sollte.



Dahmke: In Ihrem jüngst bei DuMont erschienenen Roman erzählen Sie aus Zeldas Sicht die Geschichte des einen Sommers, in dem Der große Gatsby entstanden ist. Wie dicht kann man den Sommer mit Fakten rekonstruieren und wie viel muss Fiktion bleiben?

Nicolas: Es war mir ein großes Anliegen, Tage mit Gatsby so authentisch wie möglich an die reale Geschichte heranzuführen. Während meiner einjährigen Recherche habe ich mich intensiv mit der Materie beschäftigt und auch sämtliche Schauplätze aufgesucht, ein wichtiges Kriterium, um ein Gespür für Stimmungen, für Geräusche und Gerüche unterschiedlicher Orte zu erhalten. Eine perfekte Grundlage waren die Texte der Fitzgeralds; nur wenige Literaten haben Leben und Wirken derartig eng miteinander verwoben wie die beiden. Ihre Romane und Erzählungen lesen sich an vielen Stellen wie autobiografische Gesellschaftsporträts, die häufig von erschütternder Intimität geprägt sind. Darüber hinaus schaffen Tagebücher, Notizen und vielfältige Erinnerungen ihrer Zeitgenossen ein atmosphärisch dichtes Bild jener Jahre. Das Material bietet also eine fantastische Bandbreite, so dass es keines erfundenen Plots bedarf. Und doch habe ich Ungereimtheiten entdeckt, die mir als Autorin die Möglichkeit gaben, unbestreitbare Fakten mit jener Dramaturgie zu versehen, die literarische Figuren zum Leben erwecken. Tage mit Gatsby ist eine Collage aus Fakten und Fiktion mit fließend gestalteten Übergängen.

Dahmke: „Das Beruhigende ist, dass es viele Wahrheiten gibt“, zitieren Sie mehrmals während der Geschichte. Oder in Scotts Worten: “Sometimes I don’t know whether Zelda and I are real or whether we are characters in one of my novels.” Die fiktive Welt scheint sich (nicht nur in Scotts Romanen) mit der realen zu vermischen.

Nicolas: Lange Jahre haben sich die Fitzgeralds nicht an der Verschmelzung ihrer Welten gestört, ganz im Gegenteil, sie liebten die Inszenierung, den Rollenwechsel, das Spiel mit den Erwartungen einer begeisterten Leserschaft. Erst als Zelda mit ernsthafter Ambition eine eigene Karriere anstrebte, bekam das Leben der beiden Risse, aus denen Neid, Missgunst und Geltungsdrang hervorquollen.

©josephinenicolasschreibt_instagram

Dahmke: Apropos Zelda: Wie ausschlaggebend war sie bei der Entstehung der Texte? Was für Kämpfe musste sie austragen, um anerkannt zu werden: als Frau, als Schriftstellerin?

Nicolas: Zweifelsohne ist Zeldas Einfluss auf das Werk ihres Mannes unschätzbar hoch. Sie war seine Liebe, seine wichtigste Ansprechpartnerin. Als charismatische Muse -  geistreich, kritisch und belesen - inspirierte sie zu immer neuen Romanheldinnen. Auch wenn Scott sich ihrer Liebesbriefe und Tagebücher bediente, seinen Namen unter ihre Geschichten setzte und Zelda höchstens als Koautorin in Erscheinung trat, wird allgemein angenommen, dass Zelda hauptsächlich an den Überarbeitungen der Romane ihres Mannes beteiligt gewesen war. Die traurige Wahrheit ist, dass Zelda Zeit ihres Lebens nicht die Anerkennung bekam, die sie sich gewünscht hatte. Weder als Autorin noch als Tänzerin oder Malerin. Dabei versuchte sie auf vielen Wegen für ihre Talente wahrgenommen zu werden und finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Scott wusste die Ambitionen seiner Frau zu verhindern. Der Rosenkrieg des Paares kulminierte in jenen Jahren, als Zelda während eines Psychiatrieaufenthaltes einen Roman schrieb, der in Teilen das Material von Scotts ‚Zärtlich ist die Nacht‘ vorwegnahm.

Dahmke: Ein Walzer für mich.

Nicolas: Genau. Auch nach Scotts Tod 1940 blieb sie lange Jahre lediglich die Ehefrau des berühmten Schriftstellers, was daran gelegen haben mag, dass das Paar während der Roaring Twenties beinahe ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war. Anfang der Siebzigerjahre ist es der Biografin Nancy Milford gelungen, sie aus dem Schattendasein zu befreien und als eigenständige Persönlichkeit in der Gesellschaft zu positionieren. Milford bezeichnete Zelda als Symbol einer vereitelten Künstlerin.

Dahmke: F. Scott Fitzgerald wird seiner Trinksucht verfallen und abgeschieden in Hollywood landen, Zelda von Nervenzusammenbrüchen ihr restliches Leben fristen. Was wird von den Fitzgeralds in Erinnerung bleiben? Das glamouröse Paar der Goldenen Zwanziger oder der langsame psychische und körperliche Verfall, eher die Schattenseite ihres einstigen Daseins?

Nicolas: Das ist eine sehr spannende Frage. Die Antwort dürfte die unterschiedlichsten Meinungen hervorrufen, möglicherweise richtet sie sich nach der Intensität der Beschäftigung mit der Materie. Ich denke, die Fitzgeralds haben mit ihrem Lebensstil einen großen Anteil zu unserem heutigen Bild der Zwanzigerjahre beigetragen. Party, Rausch, Glamour. Ihr Name transportiert nach wie vor das Gefühl des unbändigen Lebenshungers jener Zeit, den Willen zum Ausprobieren und Überschreiten jeglicher Grenzen, diesen unglaublichen Freiheitsdrang.

Idealerweise kennt man die vollständige Biografie der beiden, weiß um ihre leisen Anfänge, die anrührenden Liebesbriefe, die sie sich schrieben. Spannt den Bogen über die Roaring Twenties, die tumultartigen Streitigkeiten Anfang der Dreißiger, schließlich die Krankheit Zeldas, die in der damaligen Zeit erschütternden Behandlungsmethoden unterlag. Weiß um die  Krankheit Scotts. Das Paar stand vor der Hoffnungslosigkeit, vor dem absoluten Nichts,  und gab doch nicht auf. Das bezeugen die Liebesbriefe, die zu schreiben sie wenige Jahre vor Scotts Tod wieder aufnahmen. Obwohl er in Hollywood längst mit einer anderen Frau liiert war, erlosch die Liebe der Fitzgeralds nie ganz. Sie waren nicht mehr das romantische Paar von einst, doch die Zeilen sind voller Zärtlichkeit. Und vielleicht ist es genau diese Verbundenheit, die Zelda und Scott der Nachwelt hinterlassen wollten …  

Dahmke: Was für schöne abschließende Worte! Vielen Dank, liebe Joséphine Nicolas!

Nicolas: Es war mir eine Ehre, Herr Dahmke! Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Interview.


Den Roman von Joséphine Nicolas können Sie bequem über den Felix Jud Webshop bestellen Tage mit Gatsby - Produkt (buchkatalog.de) oder am Neuen Wall abholen.

 Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die Instagram-Seite von Joséphine Nicolas: @joséphinenicolasschreibt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen