Donnerstag, 29. Juli 2021

This land is not your land

Rezension von Marcus Dahmke zu „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ von C Pam Zhang.

C Pam Zhang ©Gioia Zloczower 

Über die Autorin: C Pam Zhang wurde 1990 in Peking geboren, lebt inzwischen aber nach mehreren Stationen in San Fransisco. Ihr Debütroman war letztes Jahr u.a. für den Booker Prize nominiert und eines von Obamas Lieblingsbüchern.     

Originalausgabe und Ausgabe bei S. Fischer 

Es gibt sie noch: diese grandiosen ersten Sätze, die immer wieder gelesen werden wollen, weil in ihnen die Essenz eines ganzen Romans steckt. Im Falle von Wie viel von diesen Hügeln ist Gold von der in Peking geborenen und in Amerika aufgewachsenen Autorin C Pam Zhang sind es die Worte: „Ba stirbt in der Nacht und so machen sie sich auf die Suche nach zwei Silberdollars.“ Nicht für sich selbst, sondern um die Augen des Toten - ihres eigenen Vaters - zu bedecken, wollen die Waisenkinder Sam und Lucy die Münzen benutzen. Die Reise ins Jenseits muss bezahlt werden. Aber aus der Suche nach den Silberdollars und nach einer geeigneten Begräbnisstätte wird eine Suche nach viel mehr: dem eigenen Platz in der Welt.

Sie haben nicht viel mehr als sich selbst, eine Pistole mit wenig Munition und die Leiche des eigenen Vaters auf dem Rücken des Pferdes. Sam und Lucy, die Hauptprotagonistinnen von C Pam Zhangs Debütroman stehen vor einer schweren Entscheidung: wohin sollen sie sich ohne Eltern in der endlosen Weite des amerikanischen Westens wenden? Im Bergbaustädtchen, in dem sie bis zuletzt in einer winzigen Hütte mit ihren Eltern gelebt haben, können sie nicht bleiben. Weit im Westen ruft das Meer, ruft eine Heimat, die keine ist; eine Heimat, die die beiden Kinder nur aus den Erzählungen ihrer Mutter zu kennen glauben. Wohin wird ihr Weg sie führen? Weiter hinein in eine einstmals unbezähmbare Natur, voll von Leben, von Tieren, die über saftig-grüne Hügel strichen? Zumindest den Mythen und Legenden des Vaters nach... Gibt es dieses sagenhafte Land überhaupt noch oder hat der Mensch in seiner Gier nach Gold, nach persönlichem Reichtum, bereits zu tief geschürft? Verdient der Boden, auf dem sie aufgewachsen sind, den sie bisher immer „Zuhause“ nennen konnten, diese Bezeichnung noch?

Mit einer ganz eigenen Erzählstimme, einer Mischung aus Cowboyslang und Pidgin (das vor allem in der englischsprachigen Originalausgabe zur Geltung kommt) wird eine Welt erschaffen, die zunächst einmal vertraut erscheint. Beziffert sind die einzelnen Teile jedoch mit Buchstaben und Zahlenkombinationen wie XX62, die die Leserin und den Leser gewollt irritieren. Wer Haruki Murakamis 1Q84 kennt horcht nun bereits auf. Die Autorin entwirft in Wie viel von diesen Hügeln ist Gold eine alternative Geschichtszeit. In einem Interview mit Teresa Pütz vom S. Fischer Verlag verriet sie, dass sie den Roman u.a. für jene Menschen schreibt, die in den meisten Geschichtsbüchern bisher keinen Platz gefunden haben, zum Beispiel den chinesischen Arbeitsmigranten, die für den Bau der Eisenbahnlinien in Nordamerika ins Land geschifft worden sind. Entstanden ist ein „Heldenepos für den Rest von uns“.

So erklärt sich auch das vorangestellte Motto des Romans: This land is not your land.

Das Geschwisterpaar Sam und Lucy, das den Leser und die Leserin über große Teile des Romans begleiten wird, sind Kinder einer chinesischen Arbeitsmigrantin und einem Goldgräber. Als Familie, der man ihre ,Andersartigkeit‘ ansieht, haben sie es nicht leicht einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Vor allem die Mutter sehnt sich nach der alten Heimat, nach dem Land hinter dem großen Meer, das wie eine Mauer aber auch wie ein verbindendes Element in ihren Erzählungen erscheint. Übers Meer bin ich gekommen, übers Meer werde ich in die Heimat zurückkehren, denn dieses Land ist nicht mein Land. Aber es ist das Land ihres Mannes und ihrer beiden Kinder, die hier großgeworden sind. Vermeintlich! Denn auch sie tragen asiatische Züge und werden ausgeschlossen, die Kinder dürfen zunächst keine Schule besuchen, werden gemobbt, bleiben für sich; Sam, die eigentlich Samantha heißt, aber mehr und mehr in die Rolle eines Mannes schlüpft, und Lucy, die alle Erzählungen liebt und sich blauäugig und unhinterfragt in einem schon lange bestehenden System bewegt. Beide werden die Herausforderungen des Lebens auf ihre eigene Art angehen, Lösen oder Scheitern.

C Pam Zhang hat mit Wie viel von diesen Hügeln ist Gold, mit dem sie 2020 für den renommierten Booker Preis nominiert war, einen Roman der Stunde geschrieben, in dem viele aktuelle Themen scheinbar nebenbei behandelt werden und trotzdem den Inhalt formen: Identität, Gender, Heimat, Familie, Verlust. Verlust der Natur aber auch von nahestehenden Menschen... und die unvermeidlich folgende Trauer und Trauerbewältigung. Diese Leere, die kommt, manchmal ein Leben lang bleibt und nicht gehen will.

Ein Buch, das in seiner erzählerischen Wucht, seiner Feinfühligkeit und Rauheit bleiben wird!


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Buchempfehlungen und Quellen der Inspiration für C Pam Zhang:

Proulx: Schiffsmeldungen - Produkt (buchkatalog.de)

Ondaatje: Divisadero - Produkt (buchkatalog.de)

Morrison: Menschenkind - Produkt (buchkatalog.de)

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