Freitag, 25. März 2022

Ernst Jünger und die Abwicklung des postheroischen Mannes

Der russische Krieg gegen die Ukraine lässt uns erschrocken zurück. Und wir staunen, wie schnell sich manche, als sicher geglaubte politische Haltung in ihr Gegenteil verkehrte. Als KZ-Häftling hat sich unser Firmengründer Felix Jud (1899-1985) stets um Friedensbelange gekümmert. Er gehörte u.a. der Jury des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an. Nun herrscht Krieg in Europa. Es gibt einen klaren Angreifer und Feind. Was hätte man vorher tun können? Die Politik? Wir? 

In einer Buchhandlung wie Felix Jud laufen viele Stränge des geistigen und politischen Lebens zusammen: Als Celebrity und Weltstar-Boxer war Vitaly Klitschko 2001 bei uns zu Gast. Nun ist er eine Figur, wie aus einem Film, ein Kraftmensch, ein für seine Nation kämpfender Heroe. Und der mit unserer Buchhandlung verbundene ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi vertritt in der Frage nach den Kriegsgründen einen anders justierten Blick als die Mehrheit.

Das Bedürfnis nach Gespräch ist da und so veranstalteten wir am 17. März einen offenen Gesprächsabend zur aktuellen Lage. Wir stellten literarische Titel und Sachbücher zur Thematik vor. Der Journalist Daniel Haas hielt einen Vortrag, der im Anschluss, unter anderem mit reger Beteiligung des aus Berlin angereisten Journalisten Alexander von Schönburg, lebendig von allen Anwesenden diskutiert wurde. Der aktuelle Krieg ist für Daniel Haas nicht nur eine politische Zäsur sondern auch eine kulturelle Denkwende. Gelten alte Kategorien von links und rechts noch? Wäre nicht Ernst Jünger, hätte er noch einmal 100 Jahre gelebt, heute ein Linker? 

Wir danken Daniel Haas sehr für seinen Input und die Genehmigung seinen Text hier exklusiv veröffentlichen zu dürfen. 


Bücher zu den schrecklichen Geschehnissen und zur ukrainischen wie russischen Kultur und Politik finden Sie bei uns am Neuen Wall. In einer Spendenbox werden Münzen und Scheine gesammelt, die an den Malteser Hilfsdienst weitergereicht werden.


Foto: die jugendlichen Klitschko-Brüder in der Ukraine – jetzt Freiheitshelden des Westens

Vortrag von Daniel Haas

Eine Frage an die Kulturkritik: Wie wird die ästhetische Sphäre auf die aktuelle Lage in Europa reagieren? Beziehungsweise: Gab es ästhetisch verfasste Vorboten dieses Krieges, der neben einer politischen Neujustierung Westeuropas auch einen gesellschaftlichen Kulturwandel zur Folge haben wird?

Die Kunst als Kassandra, als Diagnostikerin, die avant la lettre die Verhältnisse einem breiteren Verstehen zugänglich macht, das ist ein alter Topos. Der 2014 verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat historisch gewordene Texte gern in dieser Hinsicht intellektuell bewirtschaftet. So las er beispielsweise Thomas Mann und projizierte zu Beginn der nuller Jahre dessen Kritik der bürgerlichen Welt auf eine Gegenwart, die ihrerseits Probleme mit der Idee von Bürgerlichkeit bekommen hatte. 

Ich möchte dieses Verfahren anwenden und einen Künstler zu Rate ziehen, dessen ästhetische Praxis meiner Ansicht nach einiges klarstellen kann, wenn es um das Begreifen der aktuellen Lage geht.

Mit aktueller Lage meine ich vor allem die Abwicklung des postheroischen Subjekts. In den Bombenkellern von Kiew ist die linksliberale Idee von einer ewig pazifistischen Staats- und Kulturräson an ihr sehr schmerzhaftes Ende gelangt. 

Putin zwingt uns, Abschied zu nehmen von der Idee, das wehrhafte Subjekt sei einer Sache für Freunde der Militärgeschichte oder Fans antiker Männlichkeitsideale aus dem Geiste Roms und Spartas. 

Einhundert Milliarden Euro für die Aufrüstung eines Landes, das sich qua Geschichte eigentlich für eine tausend Jahre währende Regentschaft grün-woker Liberaler qualifiziert hatte, das ist schon was. 

Für mich, der es wenigstens zum Obergefreiten der Luftwaffe gebracht hat, ist es jedenfalls spooky, um ein neudeutsches Modewort zu gebrauchen, wenn ich mir vorstelle, am Radarschirm russische Kampfjets im deutschen Luftraum zu markieren, die in der Folge von deutschen Kampfjets bestenfalls aus dem hiesigen Hoheitsgebiet hinausbegleitet, schlimmstenfalls aber angegriffen werden.

Die Medien haben die kulturkämpferischen Signale – denn das ist es, was uns meiner Meinung nach ins europäische Haus steht: ein sich noch weiter zuspitzender Kulturkampf – die Medien haben dieses Signale nicht nur registriert, sondern ihrerseits verstärkt und versilbert. Selenskij und die Klitschko-Brüder werden so offen als Helden ausgewiesen wie weiland Stauffenberg oder Elser. Das geht in Ordnung. Man braucht Mut, Schneid, eine gewisse Todes- und Leidensverachtung sogar, wenn man sich als schwer reicher, eigentlich im sicheren Ausland lebender ukrainischer Spitzensportler zurück nach Kiew begibt, um dort eventuell das Zünglein an der wild kippelnden Weltwaage zu sein. 

Ernst Jünger, der mit 17 zur Fremdenlegion abhaute, um dann von seinem Vater mit einiger Mühe zurückgeholt zu werden, hätte das sofort verstanden. Und deshalb möchte ich Jünger als jenen Gewährsmann für ein der Zeit angemessenes Denken in Anspruch nehmen, von dem ich eingangs gesprochen habe.

An welcher Stelle in seinem Werk berichtet uns dieser Autor also von unserer postheroischen Gegenwart? Welcher Text ist geeignet, uns die Signatur des katastrophalen, verwirrenden Jetzt wenigstens ansatzweise aufzuschlüsseln?

Es ist ein Capriccio aus dem „Abenteuerlichen Herzen“. Das Stück findet sich nicht in der Ersten Fassung, die Klett Cotta dankenswerter Weise sogar als Taschenbuch zugänglich gemacht hat. 

Die Erste Fassung des Abenteuerlichen Herzens ist übrigens, wie mir beim Wiederlesen klar wurde, ein politisch so brutaler Text, ein selbst gegen die eigenen intellektuellen und moralischen Schwächen des Autors so gnadenlos verfahrendes Stück Weltliteratur, dass einem mulmig werden kann. Wenn so ein bis an die Schmerzgrenze des Nihilsmus aufgeklärter Konservatismus zu klingen hat, dann müssen wir uns alle sehr warm anziehen (ein Tweed-Sakko und ein Lodenmantel werden nicht reichen).

Der Text, den ich meine, hat den lakonischen Titel: 

Das Entsetzen

„Es gibt eine Art von dünnem und großflächigem Blech, mittels dessen man an kleinen Theatern den Donner vorzutäuschen pflegt. Sehr viele solcher Bleche, noch dünner und klangfähiger, denke ich mir in regelmäßigen Abständen 
übereinander angebracht, gleich Blättern eines Buches, die jedoch nicht gepreßt liegen, sondern durch eine sperrige Vorrichtung voneinander entfernt gehalten sind. 

Auf das oberste Blatt dieses gewaltigen Stoßes hebe ich dich empor, und sowie das Gewicht deines Körpers es berührt, reißt es krachend entzwei. Du stürzt, und stürzest auf das zweite Blatt, das ebenfalls und mit heftigerem Knalle zerbirst. Der Sturz trifft auf das dritte, vierte und fünfte Blatt und so fort, und die Steigerung des Falles läßt die Schläge in einer Beschleunigung aufeinanderfolgen, die einem an Tempo und Heftigkeit anwachsenden Trommelwirbel gleicht. 

Immer noch rasender werden Fall und Wirbel, in einen mächtig rollenden Donner sich verwandelnd, der endlich die  Grenzen des Bewußtseins sprengt. 

So pflegt das Entsetzen den Menschen zu vergewaltigen - das Entsetzen, das etwas ganz anderes ist als das Grauen, die Angst oder die Furcht. Eher ist es schon dem Grausen verwandt, das das Gesicht der Gorgo mit gesträubtem Haar und zum Schrei geöffnetem Munde erkennt, wahrend das Grauen das Unheimliche mehr ahnt als sieht, aber gerade deshalb von ihm mit mächtigerem Griff gefesselt wird. Die Furcht ist noch von der Grenze entfernt und darf mit der 
Hoffnung Zwiesprach halten, und der Schreck — ja, der Schreck ist das, was empfunden wird, wenn das oberste Blatt zerreißt. Und dann, im tödlichen Sturze, steigern sich die grellen Paukenschläge und roten Glühlichter, nicht mehr als Warnungen, sondern als schreckliche Bestätigungen, bis zum Entsetzlichen. 

Ahnst du, was vorgeht in jenem Raume, den wir vielleicht eines Tages durchstürzen werden und der sich zwischen der Erkenntnis des Unterganges und dem Untergang erstreckt?“

Ich glaube, dass das postheroische Subjekt in die Phase dieses von Jünger präzise beschriebenen Entsetzens eingetreten ist. Ich denke, dass Klitschko solch ein entsetztes Bewusstsein von der Lage haben muss, um die Stahlgewitter von Kiew zu ertragen. Ob sie sich überstehen lassen, auch diese Frage kann ohne ein Know-how des Entsetzens nicht angemessen gestellt werden.

Die Weltlage, ganz konkret Putin, haben uns auf das oberste Blech emporgehoben. Die ersten Bomben, die auf Kiew fielen, haben den Donnerwirbel eingeleitet, der uns nun täglich in allen Medien umbraust.

Die Gorgo eines dritten Weltkriegs hat ihr Maul bereits zum Schrei geöffnet, und wie Perseus, der das Monstrum nur indirekt, im Blick auf seinen spiegelnden Schild, zu fassen bekommt, suchen wir nach der indirekten, diplomatischen Lösung.

Dem abgeschlagenen Haupt der Gorgo Medusa entspringt der Pegasus, das Wappentier der Kunst. „Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“ wird Rilke später dichten. Das Schöne, dass den Schrecken dieses europäischen Krieges entspringt, was soll das sein? Eine neue pazifistische Weltordnung, in der Russen, Amerikaner, Chinesen und Europäer gemeinsam Eckart Tolle lesen und vegane Ernährung zum Klassenziel einer aufgeklärten bürgerlichen Existenz erklären? Ich glaube das nicht. Und Jünger hätte es wohl auch nicht geglaubt.

Bemerkenswerterweise glauben es auch die Kids und Jugendlichen nicht, die sich täglich mit Gangsta Rap beschallen, mit einer Hingabe, die dem Genre die größten Streaming- und Verkaufszahlen aller Popgenres beschert. Bushido, Fler, Haftbefehl, Kollegah: alles Männer, die vom linksliberalen Zeitgeist so viel halten wie ein Redneck von der Homoehe. 

Wenn auch für moderne Gemeinschaften gilt, was Freud erklärt hat, dass nämlich das Verdrängte wiederkehrt, dann ist die Begeisterung der Mittelschichtsjugend, (und der migrantischen Jugendlichen) für diesen derben, alle Rollenklischees rearrangierenden HipHop ein sicheres Indiz dafür, dass das genderfluide, auf Achtsamkeit geeichte, Grün wählende und empfindende Subjekt nicht die ultima ratio gesellschaftlichen Handelns darstellt.

Wovor ich tatsächlich Angst habe: Dass wir bereits jenen Raum durchstürzen, „der sich zwischen der Erkenntnis des Unterganges und dem Untergang erstreckt“. Sie mögen mir dies als apokalyptisch verzerrtes Bewusstsein auslegen, womöglich als intellektuellen Narzissmus, der sich freut, seine dekadenten Ideen von „Verfeinerung, Abstieg und Trauer“, diese Trias stammt von Benn, dem alten Verfallspoeten, diesen dekadenten Akkord genüsslich anzuschlagen. 

Aber das oberste Blech ist zerrissen, und selbst wenn wir uns heute noch in der Phase des Schrecks, wie Jünger ihn darstellt, befinden sollten - das Entsetzen macht sich breit. 

Womöglich war es immer schon da, als Bewusstsein der politischen Linken, die nicht müde werden uns zu sagen, wir sollen aufhören mit der Klimazerstörung, mit der kapitalistischen Ausbeutung. Womöglich aktualisiert es sich in den Kundgebungen und Aufmärschen der Fridays-For-Future-Kids, mit ihrem Pathos, das so naiv und aufdringlich wirkt, dass man leicht vergessen kann, dass sie die Wissenschaft auf ihrer Seite haben. Wir stürzen dem Untergang entgegen, das ist ein Faktum, nicht fake news.

Vielleicht wäre Ernst Jünger ein Linker geworden, hätte er nochmal 100 Jahre zu leben gehabt. Schirrmacher verabschiedete sich offiziell in der FAZ von den Konservativen. Lorenz Jäger, lange der Vorzeige-Rechte der konservativen Intelligenz, ebenfalls. Im FAZ-Feuilleton ist einer der markantesten Kulturkritiker heute ein Marxist namens Dietmar Dath. Jünger, so meine Vermutung, hätte lieber mit Dath diskutiert als mit Götz Kubitschek. 

„Ein Mensch von Rang sollte sich lieber in böse als in schlechte Gesellschaft begeben, weil Rang und Wert nur in der tragischen, nicht aber in der sozialen Welt zusammenfallen, in der vielmehr die Zahl die Rolle des Wertes übernimmt.“
So schreibt Jünger im Jahr 1929 in der Ersten Fassung des „Abenteuerlichen Herzens“.

Die tragische Welt ist die des Helden, jenes Akteurs, der die postheroische Phase zu beenden scheint. Wer sind die Bösen, deren Gegenwart der ranghohe Mensch nun aufzusuchen hat? Ist es Putin, der redliche Irre, dessen ideologisches Projekt im Zivilisationsbruch enden könnte? Oder ist es für uns Konservative der linke Sozialist Bernie Sanders mit seinen radikalen Umverteilungsplänen, ein ordentlicher Gegner, wie Schmitt gesagt hätte, denn der Sozialist ist für den Konservativen „die Frage nach dem Eigenen als Gestalt“?

Ich möchte lieber mit Sanders zu Abend essen als mit Putin, ganz klar. Mit Jünger kann ich nur noch durch seine Texte kommunizieren. Das Zwiegespräch mit Ernst Jünger sollte nicht aufhören, woker Zeitgeist hin oder her. Das postheroische und auch das heroische Subjekt, sie können von einer Aussprache mit diesem Autor nur profitieren.

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