Ein Seiltanz zwischen fachlicher Anerkennung und moralischer Kritik:
Die Freie und Hansestadt Hamburg war durch ihren Hafen und die rege Handelskultur die Kolonialmetropole des noch jungen Deutschen Kaiserreichs und wurde so zum Magneten für Kolonialisten, Missionare, Afrikainteressierte, Kaufleute und Kolonialpolitiker. So kam es, dass an der gerade entstehenden Hamburger Universität, in seinen Kinderschuhen steckend noch „Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung“, ein Lehrstuhl für die neue Wissenschaft der Afrikanistik geschaffen wurde. Erster Inhaber dessen wurde der vorher in Berlin lehrende Pastor und Autodidakt Carl Meinhof; als weltweit Erster bekleidete er das Amt eines Ordinarius für Afrikanistik.
288 Seiten, 24,90 Euro |
Sein Leben stellt sein wissenschaftlicher Nachfolger Ludwig Gerhardt kritisch dar, wodurch ihm der Balanceakt zwischen Anerkennung seiner Pionierarbeit einerseits und Darstellung der rassistische , nationalsozialistischen Gesinnung andererseits gelingt:
Als Pastor im preußischen Hinterland gelangt Meinhof zufällig in den Kontakt mit den afrikanischen Sprachen, die im Zuge der Kolonialpolitik des Kaiserreichs für das Gelingen der Missionarsarbeit, um den von von Bülows geforderten „Platz an der Sonne“ zu erreichen, immer wichtiger wurden.
Insbesondere mit den Bantusprachen beschäftigt sich Carl Meinhof auf vergleichende Weise intensiv und publiziert einige wegweisende Schriften zur Grammatik und phonetischen Herkunft der Bantusprachen. Und das ohne je einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent gesetzt zu haben. Fachliche Exkurse zur Phonetik einiger Bantusprachen bieten hierbei dem Leser einen ersten Einblick in das Gebiet der Afrikanistik, was mir und anderen Sprachinteressierten durchaus Freude bereitet.
In seiner Heimat Zizow wird er immer mehr eine Anlaufstelle für die Ausbildung zukünftiger Missionare und hält somit die repressive Kolonialmaschinerie des Kaiserreichs mit am Laufen. Der gesteigerte Einfluss bringt ihn als Seminarleiter nach Berlin, er unterhält Bewohner der deutschen Kolonien als unfreie Assistenten und Seminarmitarbeiter und bereist schließlich mehrfach den afrikanischen Kontinent.
Die oberste Sprosse seiner Karriereleiter soll der Lehrstuhl als Professor für Afrikanistik an der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung und späteren Universität Hamburg sein, in deren Gründungsprozess man beim Lesen auch eingeführt wird.
Inszenierung der Sprachforschung im Lager für den Fotografen. Quelle: DHM, Nachlass W. Doegen |
Schließlich zeigt Carl Meinhof sich jedoch immer rassistischer, indem er seine Afrikanistik zur Begründung einer „Überlegung der hamitischen Rasse“ zweckentfremdet, wodurch er auch seinen Ruf nachhaltig schädigte; gekrönt wird sein moralischer Verfall durch den frühen Beitritt zur NSDAP und die Unterzeichnung des Bekenntnisses der deutschen Professoren zu Adolf Hitler.
Die kritische Beleuchtung seiner ambivalenten Person macht sich Ludwig Gerhardt mit seinem Buch zur Hauptaufgabe, die ihm hervorragend gelingt, indem er im richtigen Moment passende kritische Worte findet und so keine „Lobhudelei“ zu Meinhofs Person und Wirken zulässt, sondern seine wissenschaftliche Leistung und seine Person im aktuellen moralischen und politischen Antlitz neu bewertet.
Rezensiert von Mats Houcken (Instagram: @seitenstapler)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen