Mittwoch, 15. Februar 2023

Buchempfehlungen für Juristinnen und Juristen

Dostojewski – Schuld und Sühne

Ein mittelloser Student bringt eine alte Pfandleiherin und deren Schwester im Affekt um, woraufhin er sich nach einigem Überlegen, von Selbstvorwürfen und Sühneverlangen geplagt, der Polizei stellt. Dieser kurze Satz könnte den Inhalt des wohl bekanntesten Roman des großen und vielleicht bedeutendsten russischen Literaten, Fjodor Dostojewski, kurz und pointiert zusammenfassen.

Das tut er aber nicht. Er gibt allerhöchstens den groben Rahmen dieser meisterhaften Erzählung von menschlichen Abgründen und Verlangen, sowie grundlegenden Fragen nach Schuld, sowie Gut und Böse, wieder.

Der russische Schriftsteller schildert vor dem Hintergrund eines fiebrigen und lieblosen St. Petersburgs die Geschichte des verarmten und einsamen Studenten Rodion Raskolnikow, der sich selbst für einen großen Protagonisten der Weltgeschichte hält, welcher fälschlicherweise zur Armut verurteilt ist, und der Gesellschaft und seinen Mitmenschen immer mehr abhanden kommt. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt begegnet Raskolnikow der gerissenen Pfandleiherin Aljona Iwanowna. Da sie in seinem Weltbild zu unwerten Existenzen zählt, überfällt er Frau Iwanowna, erschlägt sie und ihre Schwester kaltblütig mit einem Beil und flieht. 

In den folgenden Tagen irrt Raskolnikow fieberhaft umher, verfolgt von Selbstvorwürfen und seinem eigenen Gewissen. Nachdem er der Polizei mehrfach nur knapp entronnen ist, stellt er sich schließlich und offenbart seine Tat.

Der Roman erkundet vielschichtig die menschliche Psyche und stellt Fragen nach individueller Schuld und Vorwerfbarkeit. Wann ist eine Handlung gut oder böse und vor allem: Kann sie einem Menschen vorgeworfen werden? Dostojewski zeichnet das Bild eines Menschen, der mit seinem eigenen ideellen Scheitern konfrontiert wird, dessen Weltbild zerbricht und Zuflucht in seinem Gewissen und einer schonungslosen Sühne sucht.

Eine absolute Empfehlung für jeden Juristen, der hinter einer Straftat nicht nur die Erfüllung von einigen Tatbestandsmerkmalen sieht, sondern einen Menschen mit seiner eigenen Geschichte.

Fjodor Dostojewski, Schuld und Sühne, 752 S., € 15



Ronen Steinke – Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“- Dies proklamiert zumindest der Art. 3 I des Deutschen Grundgesetz. Danach darf kein Mensch in Deutschland vor dem Gesetz ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden. Doch findet diese Verfassungsnorm Anwendung in den deutschen Gerichten, oder ist sie bloß Verfassungspoesie? 

Darf man Autor Ronen Steinke Glauben schenken, ist dieses Grundrecht nichts außer kitschiger Pathetik. Er ist der Meinung, das deutsche Recht begünstigte jene, die begütert sind, wohingegen es diejenigen benachteilige, die wenig oder nichts haben. Millionenschwere Wirtschaftsdelikte werden unter den Tisch gekehrt, während Schwarzfahren oder der Diebstahl eines Brotes streng und unnachgiebig bestraft würden.

Der deutsche Jurist stellt in einer packenden Reportage die systematische Ungerechtigkeit in unserem Strafsystem dar. Steinke recherchiert bei Staatsanwälten und Richtern, besucht Haftanstalten und spricht mit Anwälten und Verurteilten.

Unnachgiebig zeichnet Steinke ein messerscharfes Bild von einem angespannten Deutschland, in welchem sich soziale Ungleichheiten immer weiter verschärfen. Arm und Reich driften stetig weiter auseinander. Und diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem Arbeits- und Strafverhalten der deutschen Justiz wieder, welche die sozialen Gegensätze vergrößert.

Ronen Steinke stellt dringende Forderungen an ein intoxikiertes und reformbedürftiges Strafsystem, die sich kein moderner Rechtswissenschaftler entgehen lassen sollte -ob Strafverteidiger oder Familienrechtler.

Ronen Steinke, Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich, 272 S., € 20

 

Friedrich Dürrenmatt – Der Richter und sein Henker

Stellen Sie sich vor Sie sind Kriminalkommissar und Ihr Mitarbeiter wird umgebracht. Zur Aufklärung des Falls setzen Sie auf Ihren besten Kollegen – der aber eigentlich der Mörder ist.


Das ist das Szenario, in welchem der Meister der kurzen und pointierten Sätze, Friedrich Dürrenmatt, einen abstrusen Kriminalfall voller Finesse schildert, welcher die eigen Moralvorstellungen und Überlegungen zu einer gerechten Strafe herausfordert.

Kriminalkommissar Hans Bärlach ist krank, als sein eigentlich bester Mitarbeiter, Ulrich Schmied, kaltblütig erschossen wird. Er setzt seinen kaltschnäuzigen Assistenten Tschanz auf die Fährte des Mörders, wobei Bärlach nicht weiß, dass Tschanz der Übeltäter ist. Vermeintlich zufällig lenkt der Mörder den Verdacht und die Ermittlungen auf den kriminellen Lobbyisten Gastmann, welcher der langjährige Rivale von dem Oberkommissar ist.

Im Zentrum der Handlung steht die Wette zwischen Kommissar Bärlach und dem Verbrecher Gastmann, der Bärlach bisher immer durchs Netz gegangen ist. Gastmann ist der Meinung, er würde niemals von Bärlach geschnappt werden und sich in Sicherheit wähnt.

Der Richter nimmt hier nicht die Rolle eines fairen und gerechten Juristen ein, welcher auf die reine Verurteilung des Täters abzielt. Viel mehr stellt Dürrenmatt Fragen nach Moral und den Grenzen zwischen Gut und Böse bei einer Tat. – Ein spannendender Kriminalroman mit Tiefgang, der wohl jeden Juristen packen wird.

Friedrich Dürrenmatt, Der Richter und sein Henker, 192 S., € 10

 

Sandra Frimmel – Kunst vor Gericht

Egal ob während der Schulzeit im Politikunterricht, bei der Strafrechtsvorlesung im Hörsaal, oder bei der finalen Arbeit als Strafverteidiger; der Begriff des Strafrechts wird fast immer nur mit Mord, Körperverletzung oder Diebstahl in Verbindung gebracht und behandelt.

Fast keiner spricht in diesem Zusammenhang von Kunst, zumal Kunst ja auch nicht strafbar sein kann – oder?

Oh doch, spätestens seit dem 21. Jahrhundert ist die strafrechtliche Verfolgung von Kunst keine Seltenheit mehr. Ob Gerichtsprozesse wegen Kunstfälschung oder Uhrheberecht, die Kunst ist im Strafrecht angekommen.

Dabei wird im Falle eines Gerichtsprozess die Öffentlichkeit zumeist nur über das endgültige Urteil informiert, und nicht über die dem Urteil zugrunde liegenden ästhetischen Debatten.

Das findet Autorin Sandra Frimmel schade, denn eben diese Debatten seien es doch, die Aufschluss darüber gäben, über welches Kunstverständnis eine Gesellschaft verfügt und auf welche Weise sie diese in einem juristischen Rahmen verhandelt.

Frimmels Buch versammelt Materialien über Gerichtsverfahren, die seit Ende des 19. Jahrhunderts gegen Künstler und Kuratoren geführt worden sind und geführt werden.  Die Prozesse verdeutlichen einen Wandel der juristischen Bewertung von Kunst und den tiefgehenden Wandel eines gesellschaftlichen Kunstverständnisses.

Frimmels Fokus liegt hierbei auf der Frage, wie eigentlich vor Gericht über Kunst debattiert wird.

Diese ästhetische Debatte ist wirklich ein Muss für jeden kunstinteressierten Rechtswissenschaftler.

Sandra Frimmel, Kunst vor Gericht, 525 S., € 48

 

Hans Litten – Anwalt gegen Hitler


Deutschland 1933 bis 1945 – Ein Land fest in den Krallen des vielleicht grausamsten Menschen der jemals gelebt hat. Gleichschaltung aller politischen, gesellschaftlichen und juristischen Institutionen. Hitler hat es geschafft jeglichen Widerstand und Ungehorsam in seinem Keim zu ersticken. Fast jeden zumindest.

Einer der wenigen, welcher sich Hitler bereitwillig in den Weg stellte war Hans Litten. Der deutsche Rechtsanwalt stellte im Jahre 1931 den „Schriftsteller“ Adolf Hitler als Zeuge für die eklatante Gewaltbereitschaft von SA und NSDAP vor dem Berliner Kriminalgericht zur Rede.

In einem spektakulären Gerichtsprozess versuchte Litten aufzuzeigen, dass der Terror der SA und NSADP als planmäßige Taktik der nationalsozialistischen Führung dazu benutzt wurde, die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik zu zerstören.

Litten verteidigte als „Anwalt des Proletariats“ in zahlreichen Prozessen straffällige Jugendliche, trat als Nebenkläger für die von faschistischen Schlägertrupps attackierten Kommunisten auf und legte sich mit der rechtslastigen Justiz der Weimarer Republik an.

Der mutige Anwalt, dessen Lebensgeschichte in Ostpreußen mit der jüdischen Jugendbewegung begann und schlussendlich im KZ endete, ist heute, weit über Deutschland hinaus ein politisch bekannter Anwalt, der sich kompromisslos und unbeugsam für seine Mandanten eingesetzt hat.

Die Biografie von Hans Litten ist ein kleiner Lichtblick in einer sonst so dunkeldüsteren Zeit der deutschen Justiz-Geschichte.

Hans Litten, Anwalt gegen Hitler, 384 S., € 28

Sebastian Schneider


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